Klub der jungen Geschichten
Eine Narbe voller Erinnerungen

Linn Grob, Luzern, 3. Sek

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Wir waren uns absolut sicher, dass nichts schiefgehen kann. Leider zu sicher. Wenn ich daran denke, dass dies vor mehr als 50 Jahren geschah, ist es unglaublich!

Jeden Sonntag seit 12 Jahren kommt meine Enkeltochter Maddie zu mir. Maddie war schon als kleines Kind verrückt nach Rollenspielen. Eine ihrer Lieblingsrolle war es, in die Rolle der Apothekerin zu schlüpfen. Maddie sammelte alles, was sie fand. Kleine Äste, Gras, Blüten, ja sogar Würmer und tote Käfer. Sie mischte alle Zutaten in ihrem kleinen roten Spielzeugkessel. Sie konnte stundenlang sammeln, mixen und rühren. Natürlich musste ich die Mixtur auch probieren, oder jedenfalls so tun als ob. Auch diverse Verbände aus Schlamm musste ich anprobieren, ich zerdrückte Samen und ass Kerne. Als Maddie älter wurde interessierte sie sich für richtige Experimente. Gemeinsam probierten wir verschiedene Kinderexperimente aus. So zum Beispiel das Coca-Cola-Mentos-Bonbon Experiment. Dieses Experiment faszinierte Maddie so sehr, dass Maddie auf jeden Fall später Chemikerin oder Wissenschaftlerin werden wollte.

Jeden Sonntag, wenn sie kommt, fragt sie mich, warum ich die grässliche Narbe am kleinen Finger habe. Ich wollte es ihr nie erzählen, denn der Grund war etwas, worüber ich nicht stolz war. Doch heute war ein spezieller Sonntag, denn es war Maddies 16. Geburtstag. Es war Zeit, ein Geheimnis aus meiner verrückten Jugendzeit zu lüften. Also erzählte ich ihr mein Abenteuer.

"Als ich so alt war wie du, hatte ich drei beste Freunde", erzählte ich ihr. Tom, Ben und Noah. Jeder hatte auf seine Art etwas was ich sehr mochte. Tom war unglaublich klug. Ich staunte immer wieder über sein grosses Wissen. Ben war so mutig wie ein Löwe. Er sagte Schuldirektor Scott einmal direkt seine Meinung zu einer unfairen Behandlung einer Mitschülerin. Und Noah war unglaublich süss. Wenn er mich mit seinen wunderschönen blauen Augen ansah, kriegte ich fast keine Luft mehr. Diese drei Jungs waren der einzige Grund, weshalb ich am Morgen aus dem Bett kroch und zur Schule ging. Wir waren unzertrennlich und wurden oft das «Coole Quartett» genannt. Wir waren sehr beliebt in der Schule unter den Schülern, jedoch die Lehrer hatten uns auf der roten Liste abgespeichert. Unser Quartett war berühmt dafür, Streiche jeglicher Art zu spielen. Einmal hatten wir das Schulmaskottchen geschminkt und verkleidet. Der Sportklub der Schule flippte total aus deswegen. Einmal hatten wir Direktors Scotts Büro mit Marienkäfern gefüllt und ein anderes Mal hatten wir den Schulpool mit Seifenblasen gefüllt. Wenn ich ehrlich bin, hatten wir es den Lehrern damals echt schwer gemacht.

Nur einmal ist ein Streich wirklich schief gegangen. Dabei waren wir uns so sicher, dass wir alles so gut geplant hatten. Es war an einem Mittwochabend im Juni, kurz vor Ferienstart. Wir hatten uns alles ganz genau überlegt. Wir schlichen in dieser lauwarmen Nacht alle aus unseren Betten und trafen uns am Hintereingang unserer Schule. Tom hatte den Schlüssel des Hausmeisters ausgeliehen, indem er ihm eine kleine Geschichte von einem verlorenen Schulbuch erzählte. So kamen wir ungesehen in die Schule. Unser Ziel war es, in das Chemie-Labor einzubrechen. Da angekommen gingen wir unseren Plan nochmals durch. Gemeinsam hatten wir die verrückte Idee, dass wir am nächsten Morgen während Direktor Scott das Assembly las, Feuerwerkskörper in der grossen Sporthalle steigen liessen. Ben und Noah waren für die Feuerwerkskörper verantwortlich und Tom und ich für die Zündungen. Wir holten verschiedene Substanzen im Lager des Chemiezimmers und machten uns an die Arbeit. Wir mischten, rührten und wogen ab. Ich war in meinem Element und in einem halben Rausch. Natürlich mussten wir auch mit einem Gasbrenner Feuer erzeugen, damit wir die Zündung testen konnten. Wir alle waren sehr vorsichtig, glaubten wir zumindest. Jedoch bei der Füllung der Feuerwerkskörper mit Schwarzpulver verschütteten wir etwas Pulver. Im gleichen Moment musste ich so stark niessen, dass das Schwarzpulver direkt zum Gasbrenner hinüber wehte. Und dann passierte es: Ein riesen Knall gefolgt von einer heissen Stichflamme, zündete einen Feuerwerkskörper nach dem anderen. Im Chemiezimmer ging ein Feuerwerk in die Luft, welches eigentlich für die Sporthalle am nächsten Morgen gedacht gewesen wäre. Ben und Noah suchten Schutz unter den Tischen. Tom zog mich in die Vorratskammer. Es krachte um uns herum. Die Feuerwerkskörper zerstörten alle Gegenstände. Ohrenbetäubend ging der Feueralarm los. Tom gab uns durch den Rauch ein Zeichen, dass wir alle das Chemielabor verlassen sollten. Gleichzeitig rannten wir so schnell wie möglich aus der Schule. Draussen rannten uns mehrere Feuermänner entgegen und versuchten die Schule zu retten. Auch Schuldirektor Scott kam in seinem Auto angefahren und hat uns sofort angehalten. In diesem Moment ging mir folgendes durch den Kopf: «Die Hölle wartet nicht mehr auf mich, denn ich bin schon da». Erst draussen merkte ich, dass mein kleiner Finger sehr stark schmerzte. Ich schaute meine Hand an und sah eine grosse Brandwunde an meinem Finger. Plötzlich wurde alles schwarz um mich herum.

Als ich aufwachte, lag ich im Krankenhaus. Meine besten Freunde Noah, Ben und Tom waren rund um mein Bett und heilfroh als es mir wieder besser ging. Leider hatten wir natürlich Hausarrest bis zu den Sommerferien. Als ich nach ein paar Tagen wieder in die Schule kam, sah ich die Zerstörung, welche wir angerichtet hatten. Der Schulhausteil in welchem das Chemielabor war, lag in Schutt und Asche. Wir waren der Grund, weshalb die Scottsdale High-School kein Chemielabor mehr hatte.

Heute, wenn ich zurückdenke, hatten wir vier Schutzengel, die über uns wachten. Wir hätten alle mit 16 Jahren sterben können. Maddie hörte gespannt meiner verrückten Geschichte zu. Sie war so leise, dass ich ihren Atem hören konnte. Am Schluss meinte Maddie: «Oh Grossmutter, diese Geschichte ist der Hammer! Du warst Teil des «coolen Quartetts»? Du bist eine Legende an unserer Schule. Und jetzt weiss ich auch, wieso wir kein Chemielabor an der Scottsdale High School mehr haben und immer in das Nachbarschulhaus gehen müssen.»