Rituelle Gewalt
Satanistische Verschwörungstheorien in Littenheid? Jetzt ergreift der Kanton Thurgau aufsichtsrechtliche Massnahmen gegen die Clienia

Ein SRF-Beitrag thematisierte vor rund einem Jahr verschwörungstheoretische Erzählungen in Therapie-Settings. Vorwürfe wurden auch gegen einen Arzt der Clienia Littenheid AG laut, woraufhin der Kanton Thurgau eine Untersuchung eingeleitet hat. Nun liegt der Bericht vor.

Drucken
Die Klinik Littenheid wehrte sich erst gegen die Vorwürfe.

Die Klinik Littenheid wehrte sich erst gegen die Vorwürfe.

Bild: Reto Martin

Der Kanton Thurgau ergreift aufsichtsrechtliche Massnahmen gegen die Clienia Littenheid AG, wie er in einer Medienmitteilung schreibt. Hintergrund der Untersuchung: Die Verschwörungserzählung «rituelle Gewalt/Mind Control», die gemäss Untersuchungsbericht in den Traumatherapie-Stationen der Klinik ein Thema war.

Das Departement für Finanzen und Soziales des Kantons Thurgau hatte im Frühjahr 2022 eine Administrativuntersuchung gegen die Privatklinik für Psychiatrie und Psychotherapie eingeleitet, nachdem Vorwürfe von Verschwörungserzählungen erhoben worden waren. Nun liegt der externe Bericht vor. Die Experten kommen gemäss Mitteilung des Kantons zum Schluss, dass die Verschwörungserzählung «rituelle Gewalt/Mind Control» in den Traumatherapie-Stationen der Klinik im untersuchten Zeitraum ein Thema war. Andere Abteilungen sind nicht betroffen. Das Departement habe die erforderlichen Massnahmen eingeleitet.

Externe Anwaltskanzlei untersucht Vorwürfe

Im Nachgang zu Berichten in den Medien und aufgrund von Hinweisen Betroffener hat das Departement für Finanzen und Soziales eine externe Untersuchung zur Behandlung von Patientinnen und Patienten der Traumatherapie-Station der Privatklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Clienia Littenheid AG in Auftrag gegeben. Gegenstand der Untersuchung war die Frage, ob die Verschwörungserzählung «rituelle Gewalt/Mind Control» in den Traumatherapie-Stationen Einzug gehalten hat. Dabei geht es ausschliesslich um diese Stationen, die anderen Abteilungen der Klinik sind nicht betroffen, heisst es in der Mitteilung.

Der Untersuchungsbericht der Anwaltskanzlei Lexperience AG, die namhafte Experten hinzugezogen hatte, zeigt: Vor allem einer der Ärzte habe ein besonderes Interesse am Thema rituelle Gewalt bis hin zu einer Faszination für satanistische rituelle Gewalt und Mind Control entwickelt. Doch der Arzt hat auch die Kultur der beiden Traumastationen beeinflusst. So hat er gemäss Bericht beispielsweise Weiterbildungen zu dem Thema organisiert, über die auch seine vorgesetzte Stelle informiert war.

An einer diesen Weiterbildungen hat ein beachtlicher Teil der Belegschaft der Traumatherapie-Stationen teilgenommen und sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Der Kanton Thurgau schreibt in seiner Mitteilung:

«Die Verschwörungserzählung ‹rituelle Gewalt/Mind Control› floss daher nicht nur in die Therapie eines einzelnen Arztes, sondern in weite Teile der Behandlungen in den Traumastationen ein.»

Zum Ausmass des Glaubens an die Verschwörungstheorie liegen gemäss Untersuchungsbericht unterschiedliche Aussagen vor.

Die externen Verfasserinnen und Verfasser des Untersuchungsberichts kommen weiter zum Schluss, dass die Klinik nach Bekanntwerden der Vorwürfe bei deren Aufarbeitung nicht sorgfältig vorging.

Untersuchungsbericht empfiehlt unabhängige Meldestelle

Der Untersuchungsbericht enthält neun Empfehlungen zur Klärung und Aufarbeitung. Dazu gehört unter anderem die Prüfung durch die Klinik, ob die Verschwörungserzählung «rituelle Gewalt/Mind Control» Eingang in die Patientenakten gefunden hat und gegebenenfalls eine unabhängige Überprüfung der Diagnosen und Therapien aller betroffenen Patienendossiers. Weiter sei die Einrichtung einer unabhängigen Meldestelle für Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber sowie die Einrichtung einer Ombudsstelle für Beschwerden von Patientinnen und Patienten zu prüfen.

Zu beheben sei die Doppelfunktion der vorgesetzten Stelle in Bezug auf die Ausübung ihrer Verantwortung und Aufsicht für das Zentrum für Psychotherapie und Psychosomatik. Auffällig ist zudem, dass die Ausbildung, Supervision und Zertifizierung von ein- und derselben Stelle (Schweizer Institut für Psychotraumatologie SPIT) erfolgt. Die Ausbildung, Supervision und Zertifizierung seien zu trennen und hätten unabhängig zu erfolgen.

Das Departement für Finanzen und Soziales hat aufgrund des Inhalts des Berichts gegen die Klinik aufsichtsrechtliche Massnahmen eingeleitet, die sich an den Empfehlungen des Berichts orientieren. Zudem werden die Berufsausübungsbewilligung eines Arztes entzogen, und ein disziplinarischer Verweis sowie diverse Bussen werden ausgesprochen. Ausserdem wurden verschiedene Strafanzeigen eingereicht. Sämtliche aufsichtsrechtlichen Massnahmen sind noch nicht rechtskräftig. (SK/dar)