«Kukkik - Kirche und Kultur, Kultur in der Kirche» präsentierte am Samstagabend ein Konzert mit traditioneller jiddischer Musik und Liedern. Heinrich van der Wingen wurde begleitet vom Trio Anderscht.
«Jede Volksmusik ist schön, aber von der jüdischen muss ich sagen, sie ist einzigartig!» Dieses charmante Kompliment stammt aus der Feder des grossen Komponisten Dimitri Schostakowitsch (1906 bis 1975).
Heinrich van der Wingen lebt in Heiden und arbeitet als Projektleiter des Kantonalen Integrationsprogrammes AR in Herisau. Die Gitarre ist sein Hobby, jiddische Sprache und Musik gehören zu seinen besonderen Schätzen. Er und das Hackbrettensemble Trio Anderscht bewiesen am Samstagabend in Wolfhalden, wie treffend Schostakowitschs Aussage war. Neben den vier Musikern überzeugten vor allem die hervorragend gewählten Worte, mit denen Pfarrer Andreas Ennulat in die Werke einführte. Er verstand es, Geist und Seele des unterdrückten jüdischen Volkes im Osteuropa des 19. und frühen 20. Jahrhunderts lebendig werden zu lassen. Mitfühlend schilderte er die Armut der Ghettobevölkerung und deren ständige Angst vor Pogromen und Verschleppung. Die Erklärungen sind willkommen, ebenso wie die in jiddischer und deutscher Übersetzung aufliegenden Liedtexte. Der auf dem Deutsch des Mittelalters basierende, mit slawischen, französischen und englischen Lehnwörtern durchsetzte Dialekt der Ostjuden ist für unsere Ohren auf Anhieb kaum verständlich. Die beschwingten Melodien der jiddischen Volksmusik beruhen vor allem auf der Klezmermusik, die von fahrenden Musikanten an Feiertagen, Hochzeiten sowie an Trauerfeiern gespielt wurde. Bei aller Fröhlichkeit und dem vitalen, rhythmischen Temperament der häufig als Tanzmelodien konzipierten jiddischen Lieder schwingen immer auch Not und Angst mit: im Lied der zehn Brüder, die einer nach dem andern sterben, oder im Marsch der Arbeitslosen, die ihre Hoffnung auf ein besseres, freies Land setzen.
Mit seiner sonoren Stimme, mit viel dynamischer Gestaltungskraft und rasanter Artikulation der schnell gesungenen Liedtexte bringt der Sänger Heinrich van der Wingen all dies zur Geltung. Passend dazu die Hackbrettbegleitung. Das in der Volksmusik und auch im Osten weitverbreitete Instrument ist als Begleitung der jiddischen Klangstrukturen in hohem Masse geeignet. Und, wer könnte diese musikalische Synthese besser realisieren als das in unterschiedlichsten Stilrichtungen beheimatete Trio Anderscht.
Max Pflüger