WALZENHAUSEN: «Wenn nicht wir, wer dann?»

Wegen der grossen Flüchtlingsnot hat der Stiftungsrat dem Durchgangszentrum in Walzenhausen zugestimmt. Das Projekt müsse aber langfristig sein, damit die Existenz der Institution nicht gefährdet sei.

Monika Egli
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Fredi Züst: «Die Stiftung will sich weiter einbringen, zum Beispiel im Bereich der Integration.» (Bild: Karin Erni)

Fredi Züst: «Die Stiftung will sich weiter einbringen, zum Beispiel im Bereich der Integration.» (Bild: Karin Erni)

WALZENHAUSEN. Der Enkel des Sonneblick-Gründers und ein namhafter Walzenhauser Unternehmer haben ihre ablehnende Haltung gegen das geplante Durchgangszentrum dargelegt (s. Ausgaben vom 12.10. und 1.11.2016). Heute erklärt Fredi Züst, Stiftungsratspräsident, weshalb seine Institution Ja dazu sagt.

Fredi Züst, wie ist das Durchgangszentrum in den Sonneblick gekommen?

Ende 2015 ist Gesundheitsdirektor Matthias Weishaupt wegen eines Termins auf mich zugekommen. Wir haben uns dann Mitte Januar getroffen und er sagte mir, dass der Kanton bei der Suche nach Gebäulichkeiten für ein Durchgangszentrum auf den Sonneblick gestossen sei und ob man mit der Stiftung darüber diskutieren könne.

Und das war ja dann möglich…

Zuerst habe ich mit unserem Hausleiter Adrian Keller gesprochen. Er hat den Gründer Paul Vogt noch persönlich gekannt und führt den Sonneblick seit Jahrzehnten mit Herzblut. Seine Meinung war mir sehr wichtig. Adrian Keller war der Ansicht, Paul Vogt hätte sofort zugesagt.

Wie hat der Stiftungsrat reagiert?

Sowohl die 5köpfige Hauskommission wie auch der 15köpfige Stiftungsrat mussten eine Güterabwägung vornehmen, und das hat sich niemand leicht gemacht. Man kam aber zum Schluss, dass die Not der Flüchtlinge im Moment grösser ist als die Not der Kundengruppe «Feriengäste». Im Stiftungsrat fiel der Entscheid sehr klar ohne Gegenstimme, lediglich mit einer Enthaltung, aus. Es war aber auch schnell entschieden, dass dies ein langfristiges Projekt sein muss. Wäre es lediglich um zwei oder drei Jahre gegangen, hätten wir zwar eine gute Auslastung gehabt, dafür dann aber keine Angestellten und keine Gäste mehr.

Gibt es die Stiftung nach zehn Jahren überhaupt noch?

Wir haben uns 2011 sehr bewusst für den Umbau entschieden, um weiterhin und unbefristet der Idee von Paul Vogt nachleben zu können. Nach den zehn Jahren Durchgangszentrum wird man schauen, welche Gäste man ansprechen kann. Ich bin überzeugt, auch dann wird es Menschen geben, für die unsere Institution Gutes tun kann.

Der Gemeinderat und die Bevölkerung von Walzenhausen beklagen sich über eine schlechte Kommunikation. Was ist schiefgelaufen?

Bevor überhaupt etwas kommuniziert werden konnte, musste der Stiftungsrat dem Vorhaben zustimmen. Hätten wir vorher kommuniziert und dann einen Rückzieher machen müssen, hätten wir ganz falsche Signale an unsere Gäste ausgesandt. Wir haben also den Stiftungsratsentscheid am 12. März abgewartet. Das war ein Samstag. Schon am Montag darauf, am 14. März, waren Matthias Weishaupt und ich beim Gemeindepräsidenten und -vizepräsidenten und haben sie persönlich informiert. Ich selber habe dann alle Gönner, die uns immer namhafte Beiträge zukommen liessen, persönlich informiert. Das sind vor allem Stiftungen und eine Privatperson. Am Donnerstag haben wir die Öffentlichkeit via Medien und gleich anschliessend die Anwohner persönlich informiert. Ich finde nicht, dass die Kommunikation schiefgelaufen ist, aber im Nachhinein betrachtet, hätte man alle Nachbarn nach der Pressekonferenz noch schriftlich informieren können.

Der Kanton zahlt der Stiftung einen Monatszins von 21 000 Franken. Wer ist auf diesen stolzen Betrag gekommen?

Das war unser Vorschlag. Die Stiftung Sonneblick will kein Geld horten, aber unsere Rechnung muss aufgehen. Nach den zehn Jahren sollen die Hypotheken, die wir noch haben, amortisiert sein, damit wir eine neue Aufgabe übernehmen können, ohne zuerst viel Geld sammeln zu müssen. Auch der Unterhalt wird vom Kanton getragen. Die Stiftung darf nicht gefährdet sein.

Trotzdem sind 21 000 Franken ziemlich viel…

Immerhin geht es um zwei grosse Häuser mit einer vollen Infrastruktur, wie zum Beispiel einer Grossküche. Es gehört auch viel Umschwung dazu.

Sie mussten allen Mitarbeitenden kündigen. Wie ist das aufgenommen worden?

Das mussten wir leider, und das war hart. Denn alle unsere Angestellten haben mit viel Herzblut und bescheidenem Salär gearbeitet. Aber es ging nicht anders, weil die Stiftung während der nächsten zehn Jahre kein Arbeitgeber mehr ist. Einzig Hausleiter Adrian Keller wird als Geschäftsleiter der Stiftung in einem Teilpensum weiterbeschäftigt, um die Arbeiten im Hintergrund zu erledigen und als Bindeglied zwischen Durchgangszentrum und Stiftung zu fungieren.

Wie vielen Personen mussten Sie kündigen?

Es ging um rund zehn Personen. Wir haben ihnen angeboten, auf eine Kündigungsfrist zu verzichten, falls sie im Laufe des Jahres eine neue Stelle finden. Davon wurde zum Teil auch Gebrauch gemacht. Wir haben jetzt noch drei Mitarbeitende mit einem 50- bis 75-Prozent-Pensum und sechs mit Pensen von 5 bis 35 Prozent.

Können diese Personen nicht übergangslos im Durchgangszentrum beschäftigt werden?

Das hat die Stiftung nicht mehr in der Hand. Aber unsere Mitarbeiter können sich selbstverständlich beim neuen Betreiber des Durchgangszentrums bewerben.

Wer ist der neue Betreiber?

Das wissen wir noch nicht. Appenzell Ausserrhoden möchte den Betrieb des Durchgangszentrums dem Kanton St. Gallen übergeben, weil man dort Erfahrung damit hat. Es laufen meines Wissens noch Gespräche zur Zusammenarbeitsvereinbarung. Betreiber und Sicherheitskonzept würden dann von St. Gallen gestellt, aber so weit ist es noch nicht.

Kürzlich wurde in einem Artikel die Frage aufgeworfen, wofür es noch einen Stiftungsrat brauche. Ob es nur ums Abnicken von Regierungsratsentscheiden gehe?

Wir bleiben als Stiftung bestehen, weil wir nach der Dauer von zehn Jahren wieder aktiv werden. Zudem wollen wir uns als Stiftung einbringen, zum Beispiel im Bereich der Integration. Abzunicken haben wir nichts, da wir nur noch Vermieter sind.

Wie hoch sind die Honorare der Stiftungsräte?

Honorare? Null! Wir lassen uns auch keine Spesen vergüten.

Was macht die Stiftung, wenn Forderungen kommen, weil die Liegenschaften in der Umgebung an Wert verlieren?

Nach unseren Erkundigungen – und im Stiftungsrat sitzen ja auch drei Juristen – hat es in der ganzen Schweiz noch nie den Fall gegeben, dass in einer ähnlichen Situation Minderwert entschädigt worden wäre.

…oder Rückforderungen von Spendengeldern?

Spenden für den Betrieb sind stets im laufenden Jahr aufgebraucht worden. Dass Spenden für den Umbau zurückgefordert werden, davon habe ich bisher keine Anzeichen. Wieso auch? Der Umbau ist gemacht worden. Und Spenden gibt man, rechtlich gesehen, ohne Gegenleistung. Sie unterscheiden sich von zum Beispiel einer Schenkung.

Haben Sie abgeklärt, ob der Stiftungszweck verletzt wird?

Selbstverständlich. Von der Stiftungsaufsicht haben wir es schriftlich, dass das Vorhaben absolut unbedenklich sei.

Laut Stiftungszweck stellt sich der Sonneblick in den Dienst der Kirche. Ist er jetzt nicht im Dienst des Staates?

Die Kirche ist eingebunden und einverstanden. Im Stiftungsrat sitzen Vertreter der Thurgauer und St. Galler sowie unserer Landeskirche. Zudem war Kirchenratspräsident Koni Bruderer zur Sitzung am 12. März eingeladen.

Der Unmut in der Bevölkerung und bei den Anstössern bleibt gross.

Ich habe Verständnis dafür, es geht ja auch um Ängste. Niemand möchte ein Durchgangszentrum in seinem Dorf. Aber wir sind eine Stiftung und der Meinung: Wenn wir Nein sagen, wer sagt dann überhaupt noch Ja? Wenn nicht wir, wer dann? Und der Standort ist ideal. Der Unmut wäre sicher noch grösser, wenn das Zentrum zum Beispiel in einem leerstehenden Haus direkt im Dorf eingerichtet würde.