Das Volkskunde-Museum Stein zeigt unter dem Titel «Von Reformtänzerinnen und Wollaposteln» eine Sonderausstellung. Am Sonntag eröffnete Gastkuratorin Iris Blum die Ausstellung.
Eine «kleine Rede» kündigte Iris Blum am Sonntag im Volkskunde-Museum Stein an. Das war eine sanfte Untertreibung. Die Gastkuratorin aus Zürich, die für die Sonderausstellung «Von Reformtänzerinnen und Wollaposteln» verantwortlich zeichnet, bewies ihre Leidenschaft für die Geschichte und ihre Fachkenntnisse der Zeit von 1900 bis 1950. Sie entführte die Besucherinnen und Besucher der Vernissage während einer halben Stunde ins damalige «Zurück zur Natur» - als Reaktion auf den industriellen Fortschritt.
Eine ausgestopfte Zwergschnepfe aus einem Landerziehungsheim und eine neckische Luftbadehose, eine eindrückliche mechanische Saftpresse, eine Kneippseife und ein Gong aus einem Kurhaus: Sie stehen als Beispiele für die Ausstellungsgegenstände, die Einblick geben in eine Zeit der mangelnden Hygiene, der ungesunden Ernährung – und der Bestrebungen von Reformerinnen und Reformern, das Bedürfnis nach gesunder Haltung und nach neuem Körperbewusstsein auszuleben.
Auch in der Ostschweiz regten sich Stimmen gegen die Missstände, Krankheiten, Wohnungsnot. Erste Reformhäuser boten vegetarische Produkte an, Naturheilärztinnen therapierten mit alternativen Methoden, Naturheilvereine eröffneten Licht-, Luft- und Sonnenbäder für alle. «Reformkorsetts» kamen auf den Markt. Tänzerinnen verabschiedeten sich von enger Beschnürung und klassischem Ballett. Sie geben der Sonderausstellung den einen Teil des Titels. Der andere bezieht sich auf die Tatsache, dass einer der medizinischen Reformatoren auf die Wirkung von Wäsche aus Baumwolle setzte, sein Kontrahent aber auf Wäsche aus Wolle: Er war der «Wollapostel».
Iris Blum hat zahlreiche Kontakte in die Ostschweiz und arbeitet einerseits freischaffend, andererseits im Staatsarchiv Zug. Sie war schon 2014 für eine Sonderausstellung im Volkskunde-Museum Stein verantwortlich: Unter dem Namen «Tröcklichrömer und Verkaufsberater» war diese den Hausierern und Handelsreisenden des 19. bis 21. Jahrhunderts gewidmet. Für ihr 2022 erschienenes Buch «Monte Verità am Säntis» hat sich Blum während sechs Jahren ins Thema vertieft. Ein «extravagantes Aussteigerprojekt» nannte Iris Blum am Sonntag Monte Verità. Die Tessiner Destination wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein spiritueller und energetischer Ort, der von Naturalisten, Philosophen, Künstlern und Querdenkern bewohnt war. Sie sei von der damaligen Kuratorin des Museums Stein für eine Ausstellung angefragt worden, bevor diese eine Zeile des Buches gelesen habe, erzählte die Gastkuratorin. Die Herausforderung sei gewesen, die Inhalte in die Ausstellung zu transformieren. «Wir sind natürlich sehr froh, dass uns zahlreiche Museen, Institutionen und Private Leihgaben überlassen haben.» Einige Personen, aus deren Familien Objekte stammen, waren an der Vernissage anwesend. Iris Blum dankte ihnen wie dem Team des Museums für die Zusammenarbeit.
Die Formation «Les Chouettes» begleitete die Vernissage mit Melodien aus den Zwanziger- und Dreissigerjahren. «Ich bin überwältigt von der Besucherschar», sagte Charles Lehmann, der Präsident der Museumsverwaltung. Rund 180 Personen nahmen am Anlass teil; sie standen und sassen im Eingangsbereich, auf der Treppe, in der Galerie des Obergeschosses. Lehmann dankte dem Kanton Appenzell Ausserrhoden sowie den zahlreichen Stiftungen für die Unterstützung. «Sie sind enorm wichtig für das kulturelle Leben und für die Museumslandschaft in der Region.» Sie sei gerührt darüber, von so viel Publikum umgeben zu sein, meinte Caroline Raither-Schärli, die neue Museumsleiterin. Das Spezielle: «Ich darf eine Vernissage eröffnen, bevor ich alle Mitarbeitenden des Hauses kenne.» Sie dankte im Speziellen Guido Bertuzzi, dem Geschäftsführer ad interim des Museums. Bereichert wird die Ausstellung durch eine Installation der Künstlerin Gabriela Falkner.
Die Sonderausstellung «Von Reformtänzerinnen und Wollaposteln» ist bis am 27. August 2023 offen. Sie wird von einem Veranstaltungsprogramm begleitet. Dieses ist auf der Webseite des Museums ersichtlich.