Die Appenzeller Bahn rammte sein Auto auf einem unbewachten Bahnübergang in Niederteufen. Das Kantonsgericht hat den 58-jährigen Mann nun wegen Nichtgewährens des Vortritts verurteilt.
Margrith Widmer
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Um von seinem Parkplatz auf die Hauptstrasse zu gelangen, muss der Mann die Schienen der Appenzeller Bahnen (AB) überqueren. Der Bahnübergang in Niederteufen ist nur mit einem Andreas-Kreuz versehen. Vor Gericht sagte der Mann, bevor er sein Auto bestieg, habe er überprüft, ob kein Zug unterwegs sei. Dann habe er sich im Auto den Schienen genähert und in beide Richtungen geschaut. Da auf der Hauptstrasse Autos und Lastwagen unterwegs waren, musste er warten; dann sei noch ein Einbieger von der Steinerstrasse her gekommen. Als er nochmals nach rechts geblickt habe, habe er den stillstehenden Zug gesehen; er habe dem Zugführer gedankt - kurz darauf pfiff und krachte es und er wurde mit seinem Auto von der Bahn nach links in die Pflanzen gedreht. Die Bahn selber kam erst über 40 Meter später bei der Haltestelle Sternen zum Stehen; praktisch dort, wo sie sowieso wegen der Fahrgäste hätte halten müssen.
Er habe alles unternommen, um einen Unfall zu vermeiden, sagte der Mann. Es sei das Verschulden der AB, die den Übergang nicht gesichert hätten. Bis vor einigen Jahren habe ein Spiegel für Sicherheit gesorgt: Die Bahnstrecke sei in beide Richtungen gut überschaubar gewesen. Mit Spiegel wäre der Unfall vermieden worden. Eine Tafel: «Stopp – Spiegel beachten, Bahn hat Vortritt» weise immer noch auf den verschwundenen Spiegel hin.
Der Staatsanwalt sah das «Fehlverhalten des Beschuldigten» als «klar erwiesen» an. Er habe freiwillig auf dem Bahntrassee gehalten und dem Zug den Vortritt verweigert. Und: «Nicht geschützte Bahnübergänge sind in der Schweiz nicht verboten.» Aus Sicht des Staatsanwalts bestanden «keine Hinweise, dass der Zugführer nicht alles unternommen hat, um die Zugskomposition schnellstmöglich abzubremsen und die Kollision zu vermeiden.» Er verurteilte den Autolenker per Strafbefehl zu einer Busse von 300 Franken und Gebühren sowie Kosten von 460 Franken.
Der Verteidiger des Beschuldigten plädierte auf Freispruch, nachdem der Einzelrichter zwei Beweisanträge abgelehnt hatte. Der Anwalt beantragte, eine unabhängige Stelle solle die Angaben auf dem Fahrtenschreiber prüfen; es bestünden Bedenken über das Verhalten des Lokomotivführers. Er habe keine Notbremsung eingeleitet. Der Staatsanwalt dagegen hatte in seiner Überweisungsverfügung geschrieben, «ein Fehlverhalten des Lokomotivführers» sei «nicht Gegenstand des Verfahrens und rein spekulativ». Die AB habe Erfahrung mit der Auswertung von Fahrtenschreibern; sie sei objektiv, sagte der Richter.
Um anzuhalten, wenn sich ein Zug nähere, sei es nötig, den herannahenden Zug sehen zu können, sagte der Verteidiger.Hätte der Lokführer die Notbremse bei der ersten Sichtung des Autos eingeleitet, wäre es nicht zum Zusammenprall gekommen. Er habe die Geschwindigkeit nur minim verringert. Der Autolenker habe weder den Bahnübergang Blatten noch die Wechselblinkanlage «Sternen» sehen können. Er habe nicht mit Vollgas über die Geleise fahren können und den Zug als fast stillstehend wahrgenommen. Der Lokführer habe den Vortritt erzwungen. Das sei ein schwerwiegendes Verhalten. Seine Aussage sei unglaubwürdig und decke sich nicht mit der Auswertung der AB. Mit Spiegel habe man einen besseren Blick auf die Bahnlinie gehabt.
Es handle sich um einen heiklen Bahnübergang. Die gebotene Vorsichtspflicht dürfe nicht ad absurdum geführt werden. Sonst müsse ein solcher Bahnübergang gesperrt oder gesichert werden. Der Lokführer sei auf gut Glück davon ausgegangen, der Autolenker werde schon zurücksetzen. Der Unfall wäre zu verhindern gewesen, wenn der Zug tatsächlich stillgestanden wäre. In seinem Schlusswort versicherte der Beschuldigte, der Zug sei vor dem Zusammenstoss stillgestanden. Der Staatsanwalt habe ihm gesagt: «Mit dem Spiegel kommen Sie nicht durch.» Der Ankläger habe auch erwähnt, er könne den Fahrtenschreiber nicht lesen. Nicht einmal der Lokführer habe das Diagramm der AB erklären können.