TIERSCHUTZ: Detektiv für Katze, Hund und Schaf

Christoph Schwabe ist pensioniert – und trotzdem vielbeschäftigt. Er ist Tierschutzbeauftragter in Lichtensteig, Wattwil, Ebnat-Kappel und Nesslau-Krummenau. In allen Gemeinden geht er Nachlässigkeiten von Tierbesitzern auf die Spur.

Martina Signer
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Hungrig ist sie: Diese Katze und eine weitere wurden vom fluchtartig verschwundenen Besitzer zurückgelassen. Christoph Schwabe bringt sie nach Nesslau ins Tierheim, wo sie vorübergehend umsorgt werden. (Bild: Martina Signer)

Hungrig ist sie: Diese Katze und eine weitere wurden vom fluchtartig verschwundenen Besitzer zurückgelassen. Christoph Schwabe bringt sie nach Nesslau ins Tierheim, wo sie vorübergehend umsorgt werden. (Bild: Martina Signer)

Sie sind nicht schwer zu finden, denn sie blöken laut nach Wasser. Eine Herde Schafe hat dadurch Anwohner auf sich aufmerksam gemacht. Christoph Schwabe wird von der Gemeinde gebeten, dem Blöken auf den Grund zu gehen. Dies ist kein Einzelfall. Stunden zuvor ist ein Schaf auf einer anderen Weide im Toggenburg verendet: Ihm fehlte Schatten, Wasser und ein angemessener Unterstand. Heute will der Tierschutzbeauftragte Christoph Schwabe weiteres Sterben verhindern. Wo er vorfährt, präsentiert sich meist viel Leid.

Schon um acht Uhr früh ist es drückend heiss. Eine Hitzewelle hat die Schweiz fest im Griff. Christoph Schwabe wartet auf seine Begleiterin, die heute einen der spannenderen Tage in Schwabes Funktion als Tierschutzbeauftragten erleben wird. Es wurde tatsächlich interessant – und auch traurig. «Mängisch schliist’s mi fascht, wänn ich das Leid gseh», sagt der gebürtige Basler, der seit bald 30 Jahren im Toggenburg lebt und das Tal kennen und lieben gelernt hat. Und besonders liegen ihm – wie schon immer – die Tiere am Herzen.

Wassereimer ohne – oder nur mit schlammigem – Inhalt

Die Schafe blöken immer noch. Doch wem gehören sie? Niemand da, den man fragen könnte, bis auf einen direkten Anwohner, der im Garten sitzt. «Ja, den Bauern kenn ich.» Sagt es und holt die Kontaktdaten, die in seinem Telefonregister ganz zuvorderst auf der Umschlagseite mit Kleberli festgemacht sind. Woher die Meldung über die Tiere, die ständig plärren, gekommen ist, weiss Schwabe nicht. Doch eines weiss er: «Der Besitzer der Tiere ist bei uns bereits aufgrund früherer Verfehlungen aktenkundig.» Die Schafe leiden nicht zum ersten Mal Durst.

Es sieht nicht so aus, als wäre der Tierhalter oft hier. Doch das wäre seine Pflicht: mindestens einmal pro Tag, zur Kontrolle. Einige Wasserkübel sind auf der Weide verteilt, die meisten davon ohne oder nur mit schlammigem Inhalt. «Das ist doch kein Zustand. Heute wird es bis zu 35 Grad heiss», regt sich Schwabe auf. Via Telefon lenkt der Besitzer kurze Zeit später unerwartet rasch ein. Er werde die Schafe noch heute Vormittag von der Weide holen und sie im Stall mit Frischwasser versorgen. Schwabe hatte sich mit den Worten: «Ich bin vom Tierschutz und heute mit dem ‹Toggenburger Tagblatt› unterwegs», gemeldet. Diese Information war den ganzen Vormittag durchaus nützlich. «Es kann vorkommen, dass Besitzer handgreiflich werden oder auch am Telefon sehr cholerisch reagieren.» Mit der Presse im Schlepptau kommt der Tierschützer heute glimpflich davon. Und die Schafe auch. Sie werden tatsächlich abgeholt.

Vier Stunden am Tag in einer Box eingesperrt

Bei dem Hund, der laut Meldungen schon die Treppe runtergestossen wurde und an der Leine umhergezogen wird, fallen seitens des Besitzers keine Schimpfwörter. Er gewährt jedoch erst nach zweimaligem Prüfen des laminierten Dokuments, das Schwabe als Beamten auszeichnet, Einlass. Zu dieser Zeit befindet sich der Hund schon seit eineinhalb Stunden in einer Box eingesperrt. «Das machen wir immer so, bis die Frau am Mittag heimkommt.» Also während rund vier Stunden. «Ein Mensch würde es keine 30 Minuten auf solch engem Platz aushalten», teilt Schwabe dem Besitzer mit, der vehement alle Vorwürfe von sich weist. Im Garten würde das Tier nur ausbüxen, das ginge nicht. Und im Haus würde er ausserhalb der Box sein Geschäft verrichten. Dass der Hund laut Meldung an der Leine so hart zurückgezerrt wurde, dass er sich einmal rückwärts überschlug, quittiert der Besitzer mit einem ungläubigen Lachen. Doch fünf Meldungen von besorgten Personen sind nicht von der Hand zu weisen. Christoph Schwabe versucht, aufzuklären: «Züchtigung ist eine veraltete Methode zur Erziehung von Hunden. Es hilft nur viel Geduld und Tierliebe.»

Bevor es zu einem weiteren Fall geht, erhält Schwabe einen Anruf. Es sei die Meldung eingetroffen, dass drei sogenannte Kampfhunde immer ohne Leine spazieren geführt würden. Dabei erschreckten sie Passanten und Kinder. Dort angekommen, gibt es Entwarnung: Das Veterinäramt war einen Abend zuvor schon da und hat die Situation als ungefährlich eingestuft. Die Hunde seien gehorsam und die Besitzerin lasse sie nur von der Leine, wo dies erlaubt sei. Verleumdung? «Die Nachbarn hatten schon immer ein Problem mit uns, seit wir von Zürich, wo die Haltung unserer Hunde nicht mehr erlaubt war, hierhergezogen sind», weiss die Besitzerin. Möglicherweise liegt der Meldung tatsächlich der Unwille eines Nachbarn zugrunde.

Die Hasen, die der Tierschützer als nächstes besucht, haben laut Meldung zu wenig Platz. Es stellt sich aber heraus, dass die Platzverhältnisse den gesetzlich vorgeschriebenen Rahmenbedingungen entsprechen. Auch wenn diese nach Schwabes Meinung grosszügiger bemessen sein dürften. Ein Kommentar der Besitzerin bleibt den ganzen Tag im Ohr: «Ich sollte die Viecher alle metzgen lassen. Habe eh ständig Ärger mit denen.»

Bei Flucht vor Behörden die Katzen zurückgelassen

Kurz bevor seine Begleiterin wieder ihrer Wege gehen will, klingelt erneut Schwabes Mobiltelefon. «Sie können gleich wieder einsteigen», sagt er, nachdem er das Telefonat beendet hat. Er wirkt etwas angespannt und aufgewühlt. Der Anruf kam von einer amtlichen Behörde. Ein Mann ist Hals über Kopf aus seiner Wohnung verschwunden, doch seine beiden Haustiere überliess er sich selbst. «Wir holen jetzt sofort Katzenfutter und Transportboxen bei mir zu Hause. Wenn möglich, fangen wir die Tiere ein und bringen sie schnellstens ins Tierheim nach Nesslau», informiert Schwabe. Die Katzen dürften nicht nur durstig, sondern auch ausgehungert sein. Am Ort des Geschehens angekommen zeigt sich ein groteskes Bild. Auf dem Weg ums Haus liegen verbrannte Kinderbücher, bei einigen ist noch der Einband zu erkennen. Fleischreste liegen vertrocknet in der gleissenden Sonne und allerlei Spielsachen aus dem Sandkasten wurden achtlos auf den Boden geworfen. Es scheint, das Haus sei fluchtartig verlassen worden. Die Katzen zu finden ist jetzt die Hauptsache. Um die Umstände werden sich andere Behörden kümmern.

Einer der beiden zurückgelassenen Vierbeiner reagiert ganz schnell auf die lockenden Geräusche von Christoph Schwabe: «Chum Busle, chum.» Sie ist sehr zutraulich, lässt sich streicheln, frisst ordentlich. Doch in die Transportbox will sie nicht, sie wehrt sich mit allen Kräften und Krallen. Doch um eine sichere Reise zu gewährleisten, muss das sein. Auch wenn es nicht schön anzuhören ist, wie sie nach dem Gekratze und Gezeter in lauten Tönen miaut, als es Richtung Tierheim geht. Die zweite Katze ist nicht auffindbar. «Sie ist scheu», sagt eine Nachbarin, die verspricht, nach dem Tier Ausschau zu halten. Christoph Schwabe ist beunruhigt: Was, wenn er sie nicht findet? Am Abend dann Entwarnung: Die beiden Katzen sind bereits wieder bei der Partnerin des verschwundenen Mannes. Was da wohl vorgefallen ist? Schwabe weiss es nicht. Als Tierschutzbeauftragtem geht es ihm an allererster Stelle um das Wohl der Tiere und nicht um die Menschen, die deren Leid verursacht haben.