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Die neue US-Finanzministerin Janet Yellen hat angekündigt, die USA wollten im Rahmen der OECD dafür plädieren, dass für grosse Konzerne international eine Gewinnsteuer von mindestens 21 Prozent durchgesetzt werde. Das könnte unter anderem für die beiden Appenzell gravierende Folgen haben.
Die Gewinne globaler Konzerne sollen nach Joe Bidens Wunsch weltweit zum gleichen Satz versteuert werden. «Für das parasitäre Schweizer Dumpingmodell dürfte das einschneidende Konsequenzen haben», schrieb Daniel Binswanger in der «Republik» unter dem Titel «Bye-bye Steuerparadies». Binswanger erinnert an den Tod des Schweizer Bankgeheimnisses, an den 13. März 2009, als der damalige Ausserrhoder Bundesrat Hans-Rudolf Merz erklärte, die Schweiz wolle «den OECD-Standard in Steuersachen übernehmen».
Jetzt stehe die Geschichte im Begriff, sich zu wiederholen. Jahrelang hatten zuvor OECD, EU und mehrere Staaten starken Druck auf die Schweiz ausgeübt, das Bankgeheimnis fallen zu lassen. Die Schweiz habe die Preisgabe des Bankgeheimnisses immer wieder hinausgezögert.
Dann kam die Finanzkrise, die Staatsschulden rund um den Globus stiegen sprunghaft an, in den USA wurde ein Demokrat zum Präsidenten gewählt – und plötzlich gab es kein Halten mehr. Bye-bye Bankgeheimnis! Und heute? Schon seit langen Jahren wird von der OECD, der EU und von verschiedenen Staaten starker Druck ausgeübt, weil es offenkundig ist, dass die Steuerumgehung durch Grosskonzerne eine parasitäre Wettbewerbsverzerrung darstellt, dass ihr irgendwann ein Ende bereitet werden muss und dass eine gewisse Harmonisierung der Gewinnsteuersätze etabliert werden wird. In der Kritik stehen insbesondere Staaten, die mit Tiefststeuersätzen internationale Konzerne dazu bringen, ihre Gewinne zu ihnen zu transferieren – beispielsweise die Schweiz.
Eine Gewinnsteuerharmonisierung sei jedoch dank wechselnder Allianzen immer wieder hinausgezögert worden. Bisher wurde in der OECD über einen Mindeststeuersatz um zwölf Prozent diskutiert. Binswanger vermutet, schliesslich werde ein Mittelwert resultieren. Doch auch dies wäre für die Schweiz und vor allem für beide Appenzell ein harter Schnitt.
Nur drei Kanton ‒ Bern, Wallis und Zürich ‒ wenden Gewinnsteuersätze von über 21 Prozent an. Der Durchschnitt aller Kantone liegt bei 15 Prozent. Am unteren Ende der Skala figuriert der Kanton Zug mit 11,9 Prozent, gefolgt von Nidwalden mit 12 Prozent, und Appenzell Innerrhoden mit 12.1 Prozent. Ausserrhoden liegt bei 13 Prozent, eingerahmt von Basel-Stadt mit ebenfalls 13 Prozent und Thurgau mit 13,4 Prozent. Mit 14,5 Prozent figuriert der Kanton St.Gallen gerade noch unter dem Schweizer Durchschnitt. (Quelle: Statista)
Die Schweiz könnte massiv internationales Steuersubstrat verlieren. Im Jahr 2000 lagen die in der Schweiz versteuerten Reingewinne bei etwas weniger als 150 Milliarden Franken. 2017 ‒ so die jüngsten Zahlen der Eidgenössischen Steuerverwaltung ‒ lagen sie bei 450 Milliarden Franken ‒ eine Verdreifachung in 17 Jahren. Gewinne, die gar nicht in der Schweiz erwirtschaftet wurden, explodierten.
Was sagen nun die Finanzdirektoren beider Appenzell dazu? Der Ausserrhoder Finanzdirektor Paul Signer stellt fest: «Das ist tatsächlich ein mögliches Problem.» Weil es aber, speziell nach der vom Volk 2019 angenommenen Unternehmenssteuerreform, die ganze Schweiz betrifft, geht er nicht davon aus, dass die Folgen für den Wirtschaftsstandort Ausserrhoden gravierend wären.
Zur Frage nach einem Plan B, stellt Signer fest:
«Wir haben, wie die anderen Kantone der Schweiz, da es erst Ideen von Frau Yellen sind, noch keinen Plan B entworfen.»
Wichtiger sei, dass die Schweiz nach wie vor stabile politische Verhältnisse biete, die eine zuverlässige Berechenbarkeit der Rahmenbedingungen sowie eine hohe Verlässlichkeit gewährleistet. «Dies gilt natürlich auch für Ausserrhoden», sagt Signer.
Auf die Frage, was ein bedeutend höherer Gewinnsteuersatz für Appenzell Innerrhoden bedeuten würde, sagt Säckelmeister Ruedi Eberle:
«Es wäre nicht nur für den Wirtschaftsstandort Innerrhoden schädlich, sondern für die ganze Schweiz.»
In Ländern, in denen die Produktionskosten für Produkte und Dienstleistungen hoch sind, hätte bis anhin mit der Steuerhöhe Standortnachteile zum Teil kompensiert werden können. «Fällt dies weg, verlieren wir einen wesentlichen Standortvorteil, der letztendlich zu einem Arbeitsplatzverlust gegenüber Billigländern führt», gibt Eberle zu bedenken.
Wie viel Steuersubstrat verloren ginge durch global Mindeststeuern, kann er nicht beantworten. «Durch einen höheren Steuersatz werden zunächst höhere Einnahmen generiert. Abwanderungen können nicht beziffert werden, da Unternehmen, die ihre Betriebsstätte in Innerrhoden haben, standortgebunden sind.» Standortungebundene Unternehmen würden dann keinen steuerlichen Grund haben, den Kanton oder das Land zu verlassen, da ja dann fast alle die gleichen Steuersätze hätten. «In einem solchen Fall würden dann die Unternehmungen allerdings eine Verlegung der Produktion in Billiglohnländer prüfen, um die höhere Steuerbelastung mit tieferen Lohnkosten teilweise kompensieren zu können», sagt Eberle.
Zu einem möglichen Pan B der Standeskommission sagt der Innerrhoder Säckelmeister:
«Die Standeskommission wird sich mit der Angelegenheit auseinandersetzen, wenn die Ankündigung von Janet Yellen in der OECD beraten und genehmigt wird.»
Dazu werde es sicher noch einige Diskussionen geben, denn auch andere Staaten, welche sich in einer ähnlichen Lage wie die Schweiz befinden, würden dieses Verdikt aus den USA nicht kommentarlos hinnehmen, sagt Eberle. «Daraus ergeben sich dann in der Folge wohl eidgenössische Gesetzesanpassungen, an welchen wir uns zu orientieren hätten. Erst dann wären die Eckwerte und Rahmenbedingungen bekannt, welche es der Standeskommission erlauben würden, eine neue Strategie auszuarbeiten.»
Zu möglichen Gegenstrategien sagt der Innerrhoder Säckelmeister: «Gleichgesinnte Länder sollten sich zusammenschliessen und das Ansinnen der USA bekämpfen oder zumindest so ausgestalten, dass die einzelnen Länder gewisse Freiheiten in ihren Gesetzgebungen behalten können. Es kann nicht angehen, dass ein einziges, zugegeben wirtschaftsstarkes, Land der gesamten Staatengemeinschaft den eigenen Willen aufzwingt, ohne den eigenen Steueroasen wie Delaware zu Leibe zu rücken.»
Eberle weist noch auf einen anderen Punkt hin. «Jedes Land und jeder Kanton hat seine staatlichen Pflichten zu erfüllen und dafür zieht er Steuern ein. In der Schweiz dürfen die Steuern gemäss der Verfassung langfristig betrachtet nicht höher sein, als die Ausgaben, welche diesen gegenüberstehen.» Wie hoch die Steuern sein sollen, entscheidet in der Schweiz das Stimmvolk. Wenn die OECD nun die Steuersätze vorgibt, sei das ein Eingriff in die Grundrechte der Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, sagt Ruedi Eberle.