Unterwegs
Unter den glitzernden Umhängen lugen Skijacken, Schals und Handschuhe hervor. Jan, Fabio, Marco und Elias stülpen sich eine goldene Krone mitsamt Vlieskappe über die Ohren. Zusammen mit zehn anderen Sternsingern haben sie sich im Pfarreiheim Abtwil versammelt, um für diesen Abend die Rolle von Caspar, Melchior und Balthasar einzunehmen. Vier Gruppen schwärmen an diesem Mittwoch aus, ausgestattet mit je einem Kässeli, das im Laufe des Abend nicht viel schwerer, dafür umso wertvoller werden sollte.
Neben dem Eingang des Treffpunktes im Pfarreiheim hängt ein Zahlenstrahl, von null bis 11000. Eine Markierung ist bei 5512 Franken angebracht – dem momentanen Zwischenstand der Spendensammlung. Knapp 11000 Franken nahmen die Abtwiler Sternsinger im vergangenen Jahr ein – diesen bisherigen Rekord gilt es zu schlagen.
Die bunten Gestalten treten hinaus in den Schnee; die Umhänge flattern hinter ihnen her. Elias, mit neun Jahren der jüngste der Vierergruppe, hält die hölzerne Sterntafel mit Bedacht in die Höhe. Sein älterer Bruder Jan hat an diesem Abend das Sagen. Der 13-Jährige ist seit der dritten Klasse mit dabei und wurde in diesem Jahr zur jüngsten Begleitperson erkoren. Er treibt die Schar voran in ihr heutiges Revier, den Dufourpark, wo sich die Gruppe die Wohnblocks vornimmt. «Das ist wie beim Läutespiel», sagt Elias, als er die vielen Klingelknöpfe eines Blockes erblickt. Er nimmt sich einen nach dem andern vor, bis – endlich – der Türöffner surrt. Wohlig strömt der Bande die Wärme des Treppenhauses entgegen. Türen öffnen sich. Nun verstummen die Buben. Schüchtern lesen sie ihr Sprüchlein vor und bitten um eine Gabe. Viele Abtwiler haben die Sternsinger längst erwartet; das Nötli liegt bereit.
Doch nicht überall sind die Kinder willkommen. Einige Haustüren bleiben zu, obwohl dahinter ein Licht brennt. Eine Tür fällt, einen Spalt breit geöffnet, sogleich wieder ins Schloss. Für viele kommt der Besuch «ganz ungünstig»; sie sind am Telefon oder sonst beschäftigt. «Ich bin gerade an der Buchhaltung», sagt eine Frau – «und es geht nicht auf.» Die Buben sind irritiert. «Wir wollen den Leuten doch eine Freude machen», sagt Jan. Er wäre am liebsten jeden Tag auf Tour, doch der Sekschüler hat mit Schule, Sport und Hausaufgaben bereits einen vollen Terminkalender.
An diesem Abend bleibt die Ablehnung die Ausnahme und die Buben erhalten nebst grosszügigen Spenden Süssigkeiten mit auf den Weg. Sie wandern direkt in die Hosensäcke, während sich das Geld in der Kasse anhäuft. Es kommt der Ordensgemeinschaft «St.Paul der Apostel» zugute, die sich in Kenia für Kinder einsetzt, die unter Wasserknappheit leiden.
Nach zwei Stunden röten sich die Nasen der Sänger in der Kälte, die Sterntafel sinkt immer tiefer gegen Boden – nur die Stimmen werden mit jeder Gabe fester und selbstbewusster. Mit 588 Franken Ausbeute kehren die vier Könige zum Schluss ins Pfarreiheim zurück. Auch die anderen Gruppen waren erfolgreich. Als die Kinder an diesem Abend nach Hause gehen, zeigt die Markierung neben dem Eingang einen Zwischenstand von 7121 Franken an.
Noemi Heule