Brosmete
Ratlos stand ich vor einem Gestell mit Kosmetikartikeln. Meine Lesebrille hatte ich nicht bei mir, ich wollte nur kurz in einem Geschäft ein Shampoo posten. «Forever-Blonde», «Ginseng-Koffein-Shampoo». Shampoos gegen fettige, Shampoos gegen trockene, gegen gespaltene Haare. Shampoos gegen Schuppen. Shampoos gegen Durchfall? Nein, gegen Haarausfall! Das Kleingedruckte kann ich ohne Brille kaum lesen. Vor lauter Shampoo-Angeboten wurde mir schwindlig. Meine Mutter wusch uns Kindern damals, vor vielen Jahren, die Haare mit etwas Wollwaschmittel. Eine meiner Tanten brauchte, um ihre Haare zu waschen, ein mit Kamillentee verdünntes Eigelb. Ich las weiter. «Silver-Dream Shampoo»! Preis 22 Franken. Grau bin ich schon lange. Anti-Age! Bei diesem Produkt vermutete ich richtigerweise eine Gesichtscreme. Warum kämpfen wir mit allen Mitteln gegen das Älterwerden? Mir kamen alte Menschen in den Sinn, die ich interviewt hatte. Die betagte Berg-Bäuerin hatte gelacht, als ich sie auf ihre glatte Haut ansprach. Wasser und Seife! Ich habe alte Leute schon immer gemocht und ihren Geschichten gelauscht, als ich noch nicht zu ihnen gehörte. Ein 100-Jähriger hatte mir erzählt, dass er sein langes Leben der Schotte, der Milch und dem Verzehr von Hundefleisch verdanke. Für den über 100-jährigen, ehemaligen Zuchtbuchführer, den ich befragte, hiess das Geheimnis «Tagebuchschreiben». Als ich ihn vergeblich zu erreichen versuchte, meinte sein über 70-jähriger Sohn am Telefon: «Der ist nicht hier, der hockt immer bei seiner Freundin in Österreich!» Bestes, natürliches Anti-Age! Das einfache Shampoo, das ich suchte, hatte ich noch nicht gefunden. «Extra Shampoo für Haarlose». In Gedanken sah ich meinen Grossvater vor mir. Er wusch sich jeden Tag am Brunnen hinter dem Haus. Den Preis von fast 40 Franken für ein Shampoo, um sich seine Glatze zu polieren, hätte er bestimmt nie bezahlt.
Esther Ferrari