Per Mausklick ins Herisau der 30er-Jahre: Staatsarchiv stellt historische Fotografien von Heinrich Bauer ins Internet

Heinrich Bauer (1883-1960) war kein Profi-Fotograf. Dennoch gelten seine Fotografien als herausragende Kunstwerke und wertvolle Zeitzeugnisse. Das Staatsarchiv Appenzell Ausserrhoden hat rund 1000 Bilder des Herisauers ins Internet gestellt.

Claudio Weder
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Obstmarkt und Regierungsgebäude in Herisau um 1930: Diese und weitere Fotografien von Heinrich Bauer (1883-1960) sind ab sofort im Internet einsehbar. (Bild: Staatsarchiv Appenzell Ausserrhoden, Fotoarchiv Heinrich Bauer)

Obstmarkt und Regierungsgebäude in Herisau um 1930: Diese und weitere Fotografien von Heinrich Bauer (1883-1960) sind ab sofort im Internet einsehbar. (Bild: Staatsarchiv Appenzell Ausserrhoden, Fotoarchiv Heinrich Bauer)

Nur die wenigsten werden sich noch an ihn erinnern: Vor mehr als hundert Jahren kam der in Ludwigshafen geborene Heinrich Bauer (1883-1960) als Uhrmachergeselle nach Herisau. 1914 eröffnete er an der Schmiedgasse eine Uhren- und Goldwarenhandlung. Ab 1924 fand man sein Ladenlokal an prominenter Lage am Platz. In seinem Geschäft bot er bald auch Filmentwicklungen und Fotovergrösserungen an. So konnte er seine grosse Leidenschaft – die Fotografie – in sein Unternehmen integrieren.

Seit 2003 archiviert das Staatsarchiv Appenzell Ausserrhoden den rund 2500 Negative umfassenden Fotonachlass des Herisauer Amateurfotografen. Um den Bestand für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen, hat das Staatsarchiv kürzlich rund 1000 Fotografien für die Langzeitarchivierung digitalisiert und per Schnellzugriff auf www.staatsarchiv.ar.ch/recherche zugänglich gemacht. Rund 200 Originalabzüge (Bromöl- und Gummidrucke) liegen in der Sammlung der Fotostiftung Schweiz in Winterthur.

Landschaften, Dorfszenen und aussergewöhnliche Ereignisse

Bauers Fotografien entstanden zwischen 1920 und 1955. Seine Motive suchte er häufig rund um Herisau sowie in der Appenzeller Landschaft. Er war «Amateurfotograf aus innerem Antrieb» – so charakterisiert ihn sein Sohn Fred Bauer, der dem Staatsarchiv im Jahr 2003 den Fotonachlass seines Vaters übergeben hat.

Obwohl kein Profi, gelten Bauers Fotografien als herausragende Kunstwerke und historisch bedeutsame Dokumente, wie Myrta Gegenschatz, wissenschaftliche Archivarin am Staatsarchiv, sagt: «Bauer war ein Lichtkünstler, der es verstand, die unterschiedlichsten Stimmungen einzufangen – gerade bei schwierigen Lichtverhältnissen.» Von den zeitgenössischen Fotografen wurde Bauer vor allem für seine Schneebilder gelobt: «Schnee und Schnee und Sonne. Weiss in Weiss. Das ist ein Meisterwerk.» Mit diesen Worten beschrieb Adolf Herz, Redaktor der Zeitschrift «Camera», 1932 Bauers Fotografie «Säntis».

Die künstlerische Bedeutsamkeit von Bauers Werken zeige sich im Weiteren auch in der Vielzahl an Wettbewerben, an denen er im Laufe seines Lebens teilgenommen hat, so Myrta Gegenschatz. Heinrich Bauer gewann mit dem Fotoclub Herisau, den er mehrere Jahre präsidierte, an der «Exposition Nationale Suisse de Photographie» 1923 in Genf einen Preis. Sein Bromöldruck «Säntis» wurde an der «I. Internationalen Ausstellung für künstlerische Photographie» in Luzern mit Silber ausgezeichnet. Unter seinen Auftragsarbeiten seien zudem die Landwirtschafts- und Heimarbeitsaufnahmen für die Publikation «Schweizer Volksleben» (1929) sowie die Fotografien vom Bau der Säntis-Schwebebahn (1935) hervorzuheben.

Neben Landschafts- und Porträtaufnahmen widmete sich Bauer einer Vielfalt von Themen wie dem Alltag der ländlichen Bevölkerung, der Arbeit in Ausserrhoder Textilbetrieben, dem Brauchtum wie dem Alten Silvester oder der Landsgemeinde. Er dokumentierte zudem das Zeitgeschehen, indem er wertvolle Reportagen von speziellen Ereignissen schuf, wie zum Beispiel diejenige von der Sprengung der katholischen Kirche in Herisau im Jahr 1935.

Dreimonatige Vorbereitungsphase

Der Nachlass von Heinrich Bauer ist der zweite Bildbestand, den das Staatsarchiv Appenzell Ausserrhoden mittels Schnellzugriff zugänglich macht. Es sei geplant, dieses Angebot in Zukunft auszubauen, so Myrta Gegenschatz. Rund zwei Wochen dauerte der Digitalisierungsprozess, den das Staatsarchiv einem externen Dienstleister in Auftrag gegeben hatte. Diesem ging eine dreimonatige Vorbereitungsphase voraus: «Das Sichten und Erschliessen des Bestandes sowie das Verpacken der Glasplatten und Schwarz-Weiss-Filme brauchte seine Zeit.»

Warum nicht alle Bilder von Bauer ins Netz gestellt wurden, hat einen einfachen Grund: Die Anzahl der Digitalisate hange jeweils vom Budget ab, welches dem Staatsarchiv für solche Projekte zur Verfügung steht. Deshalb wurde ein Schwerpunkt auf die Motive aus dem Appenzellerland gesetzt. Zu Bauers Werk gehören auch Reisebilder, Stillleben, Aktfotografien, Pflanzen- und Tieraufnahmen sowie Familienfotos.

Kulturblatt der Fotografie gewidmet

Ein weiterer Bericht über das Werk von Heinrich Bauer ist auch in der aktuellen Ausgabe des Ausserrhoder Kulturmagazins «Obacht Kultur» abgedruckt. Die 33. Ausgabe, die am Montag veröffentlicht wurde, ist der Fotografie und deren Entwicklung gewidmet. Profis geben Auskunft über die Haltung, mit der sie fotografieren, über die Bedeutung der analogen und digitalen Technik für ihre Arbeit sowie über den Einfluss, der mit den sozialen Medien gegebenen grenzenlosen Verbreitung aller Bilder der sehr vielen fotografierenden Leute. Gehörten grosse Kameras mit einer Auswahl von Objektiven zu jedem Fotografierenden, ist unterdessen die Anzahl kleiner handlicher Fotoapparate und Smartphones unendlich viel grösser.

Wohl ist die Fotografie einem grossen Wandel unterworfen; sie ist aber gleichzeitig Zeugin des Wandels. Sie dient der Geschichtsschreibung ebenso wie der Nachvollziehbarkeit vergangener Entwicklungen und dem Verständnis für heutige Situationen. So vermitteln die Texte der Gedächtnisinstitutionen Einblicke in aussergewöhnliche Fotobestände und Realitäten vergangener Zeiten. Die neue Ausgabe von «Obacht Kultur» kann beim Amt für Kultur bezogen werden. (pd/wec)