Der musikalische Jahresauftakt am Sonntag in der übervollen Pfarrkirche Oberegg ist in allen Teilen gelungen. Aber: Es dürfte das letzte Konzert des Vereins Konzerte in der Kirche gewesen sein.
Rolf Rechsteiner
redaktion
Das Neujahrskonzert in Oberegg löste am Sonntag einen Begeisterungssturm aus – und etwas Wehmut. Vereinspräsident a. D. Tim Haas gab in einer kurzen Begrüssung zu erkennen, dass das 59. Konzert wohl das letzte gewesen sei. Das Präsidium konnte im Herbst nicht neu besetzt werden, trotz dringlicher Aufrufe an die Mitglieder. Der verbleibende Vorstand hat deshalb beschlossen, keine weiteren Konzerte zu organisieren und die Auflösung des Vereins in die Wege zu leiten – wenn nicht doch noch ein Wunder geschieht.
Doch Katerstimmung kam nicht auf an diesem ersten Januartag. Das Publikum kam in Scharen, um sich die musikalischen Leckerbissen nicht entgehen zu lassen. Angesagt war der Hitzige Appenzeller Chor, bekannt für phantastische Stimmen und jugendlich-frische, bisweilen auch freche Interpretationen, die wegführen vom Althergebrachten und frischen Wind versprechen. Dem Ruf, der ihnen vorauseilt, wurden sie mehr als gerecht, wenn auch der «Arbeitsplatz» zwischen Christbaum und Krippe ein gewisses Mass an Zurückhaltung gebot. Aber in einem Medley fanden ein heissblütiger Zungenbrecher in spanischer Sprache mit Ziegengemecker und ein akustisch-virtuelles Tennisspiel gleichwohl Platz, und Meinrad Koch erheiterte einmal mehr mit seiner in Englisch «geschnabelten» Ansage, wonach hier der «Traditional Ghetto Style of Appenzell» zelebriert werde.
Tatsächlich rührten dann einige traditionelle Stücke da und dort zu Tränen oder sie erweckten unweigerlich Gänsehaut. Das «Oh ma joie» etwa oder die sinnige Bearbeitung des Klassikers «Me sönd halt Appezöller», der sich – lanciert von unvergleichlich schönen Sopranstimmen – zum festlichen Choral aufschwingt, gerieten zur Freude.
Verblüffung weckten auch die neun Mitglieder des Hackbrett Jugendorchesters Schweiz unter Leitung von Markus Engler und Urs Bösiger. Sie brillierten als Ensemble mit dem «Säbeltanz» von Aram Chatschaturjan genauso wie mit dem rhythmisch imposanten «El Cumbanchero» von Rafael Hernandez Marin. Beeindruckend war aber auch ihr Zusammenspiel mit dem Hitzigen Chor, sei es im Titel «By the Rivers of Babylon» oder besonders eindrücklich im «Guggisbergerlied», wo Hackbrettsolisten die Melodie weitertrugen, wenn der Chor schwieg oder summend verharrte. Die vier Frauen sangen rührend sauber und klangvoll voraus, die fünf Männer folgten in perfekter Harmonie um Takte versetzt, so dass man sich an einen Kanon erinnert fühlte.
Die 59 Konzerte des Vereins Konzerte in der Kirche gehorchten dem Motto «Orgel plus» – Orgel und andere Instrumente, Ensembles oder menschliche Stimme(n). Auch diesmal stand die «Allegra» nicht nur physisch im Zentrum. Der gebürtige Oberegger Andreas Jud spielte das 36-registrige Instrument mit Feingefühl und sicherer Hand. Nie konkurrenzierte er dabei die Akteure im Vordergrund. Er verstand es, ihre Interpretationen klangstark zu verbinden. In den Kompositionen «Jodel» und «Feierabend» von Maja Bösch-Schildknecht spielte er sein Können aus. Man wähnte sich in reinster Hausorgeltradition, überhöht durch die Möglichkeiten der Kuhn-Orgel, die im Haupt- und im Schwellwerk einige Feinheiten aufweist, die jeden Organisten zum Entdecker werden lassen.