Startseite
Ostschweiz
Appenzellerland
Der Herisauer Heinrich Tanner engagierte sich sein Leben lang wirtschaftlich, kulturell und gesellschaftlich stark. Mit seinem Vermögen gründete er eine der wichtigsten Ausserrhoder Stiftungen.
Werdegang und Leben von A. Heinrich Tanner zeugen von einer aussergewöhnlichen und herausragenden Persönlichkeit. Heinrich Tanner hinterlässt der Nachwelt eine Fülle von Werken und Taten.
Nach Mittelschule und Abschluss als Jurist an der Universität Bern entwuchs Heinrich Tanner dem wechselhaften und heiklen elterlichen Textilgeschäft und trat als Anwalt zunächst behutsam, später mit Feuer und Flamme in das harte weltweite Stahlgeschäft ein. Seite an Seite mit dem amerikanischen Ingenieur Irving Rossi fasste er Fuss in der hoch technisierten Stahlindustrie. 1954 gegründet, danach durch die beiden gemeinsam geführt, revolutionierte die Firma Concast AG dank eines neuen, rationellen Stranggus› genannten Verfahrens die Erzeugung von Stahlprodukten aus flüssigem Stahl.
Er wurde Unternehmer, auch wenn er zeitlebens scharfsinniger Jurist blieb. Die weltweite Vermarktung von Technologie und Anlagen sowie die Führung des Patent- und Lizenzwesens waren alles andere als ein Spaziergang. Mit den Jahren wuchsen die Konkurrenz und verschärfte sich die Marktabwehr der grossen Länder. Die Concast-Gruppe blieb Heinrich Tanners ökonomisches Standbein. Daneben engagierte er sich als Verwaltungsrat in mehreren Schweizer Unternehmen. Auch die Firma AG Cilander in Herisau behielt er stets in Obhut.
Wir erinnern uns des stattlichen Mannes von kräftigem Wuchs, mit festem Schritt, mit sonorer Stimme, mit klarer Diktion und mit der Gabe zur druckreifen Rede, oft im heimatlichen Dialekt.
Wo Heiner Tanner – wie er liebevoll genannt wurde – eintrat, da ging ein Wind durch den Raum. Er setzte Themen, verlieh dem Geschehen Takt und Atmosphäre. Und er profitierte bis ins hohe Alter von seinem fabelhaften Gedächtnis. Er wusste nahtlos Vergangenes mit Aktuellem zu verknüpfen. Das persönliche Gespräch eröffnete er stets geschickt durch Fragen und er führte die Antworten in Dialoge über, denen sich niemand entschlagen konnte. Er bildete sich klare Urteile und er vertrat seine Meinungen alsbald mit Verve, mitunter geradezu harsch. Nicht umsonst wurden im hiesigen öffentlichen Leben anstehende Entscheide des Öfteren mit dem Vorbehalt versehen: Habt ihr Doktor Tanner gefragt? Freilich mag ihn solcher Zuspruch dann und wann erfreut haben. Doch er verabscheute Aufhebens. Personenkult war ihm zuwider.
Im Privaten war «Schlössli-Tanner» ein charmanter, aufmerksamer Gastgeber von konservativem Stil. Die Gediegenheit im Alltag und im Häuslichen des Schlössli Steinegg versetzte seine öfteren Gäste stets in eine erbauliche, anregende Stimmung. Er war nicht gesellig im landläufigen Sinne, aber herzlich, umgänglich und empfänglich für gesitteten und auch hintergründigen Humor. Er übte Selbstironie. Am Ende der illustrierten Broschüre über seine in Kennerkreisen weltberühmte Sammlung von Flammbergern (Schwertern mit geflammter Klinge) grüsste er zum Beispiel lächelnd aus dem Visier einer eisengepanzerten mittelalterlichen Rüstung.
Bei jeder eminenten politischen Vakanz in Kanton und Gemeinde fiel sein Name unter dem Motto Wunschkandidat. Umsonst. Denn im Gegensatz zu seinem Vater, der Regierungsrat war, politisierte er zwar – liberal und aufgeschlossen – mit grosser Hingabe, aber aus der Hinterhand. Geschäftsreisen, Militär und kulturelle Institutionen ertrugen keine weiteren Bürden. Mit einem Fuss blieb er lebenslang dem Appenzellerland verhaftet und im Herzen ist er also Ausserrhoder geblieben. Er besuchte jede Landsgemeinde, half aktiv bei der Gründung von Kultur- und Sportstätten mit und er besuchte die Veranstaltungen kantonaler Institutionen wie der Appenzellischen Gemeinnützigen Gesellschaft.
Sein differenziertes Denken, gepaart mit robustem Gespür für das Machbare befähigte ihn zur sinnbezogenen Menschenführung, sei es im wirtschaftlichen, sei es im militärischen oder sei es im gesellschaftlichen Verbund. Von besonderem Gepräge war seine militärische Laufbahn. Fast mühelos erklomm er als Generalstabsoffizier die Kommandostufen von der Füsilierkompanie über das Bataillon und das Appenzeller Infanterie-Regiment bis zur Führung der Ostschweizer Grenzbrigade 8 im Jahr 1972. Er war ein fordernder Kommandant, duldete keine Halbheiten und übte eine geradezu eiserne Selbstdisziplin. Er war seiner Truppe Vorbild. Erste reminiszente paramilitärische Erfahrungen erwarb er sich übrigens im Herisauer Kadettenkorps, das bis 1946 mit dem Sturm auf die Burg über der Kreckelwiese das alljährliche Kinderfest abschloss. Er natürlich als Hauptmann.
Heinrich Tanner strebte unverdrossen nach der Verwirklichung des Guten. Er nahm Mass an hohen moralischen und ethischen Werten. So verinnerlichte und verübte er Wahrheit, Freiheit, Gleichmass und Gerechtigkeit als seine Kardinaltugenden. Er verwarf demgegenüber klar und deutlich alles Minderwertige. Insofern blieb er für uns Mitmenschen stets lesbar. Die Verlässlichkeit quasi aus dem Guss seines Denkens heraus verlieh ihm das Gewicht einer Institution. Dies umso mehr, als sein enormer Erfahrungsschatz unter dem weiten Bogen wechselnden Zeitgeistes vom Zweiten Weltkrieg über den Kalten Krieg und über die Hochkonjunktur bis zur anhebenden Globalisierung unserer Tage reichte.
Seinen persönlichen materiellen Reichtum widmete er – ehe- und kinderlos – schon früh grossteils der Allgemeinheit. Die Gründung seiner Steinegg-Stiftung war eine kulturelle Tat. Mit über dreissig Millionen Spendengeldern unterstützte diese seither eine Vielzahl von Institutionen und Vereinen aller Art. Ein sichtbares Juwel ist der vor dem Zerfall gerettete idyllische Rosenpark im Zentrum von Herisau. Den Fortbestand einer grossen Anzahl kultureller Zeitzeugnisse in Buchform oder mittels Spenden verdanken wir der Steinegg-Stiftung.
Nur sehr wenigen Mitbürgern ist ein derart schöpferisches Dasein beschieden. A. Heinrich Tanner gehört über seinen Tod hinaus zum historischen Bewusstsein von Ausserrhoden. Er verstarb am 1. April im 98. Altersjahr an seinem Wohnsitz in Herisau.