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Markus Grieder arbeitet seit 30 Jahren als evangelischer Pfarrer in Urnäsch. Doch er ist kein klassischer Pfarrer. So kommt in seiner Arbeit unter anderem auch Spirituelles zum Einsatz.
Auf seine ersten Tage in Urnäsch angesprochen, erinnert sich der evangelische Pfarrer Markus Grieder vor allem an eines: Äusserst wohlwollend seien er und seine Familie damals aufgenommen worden. Die freundliche und selbstsichere Art, auf welche er hier in Ausserrhoden traf, hatte ihn beeindruckt. Er kam aus Winterthur, studierte in Zürich, und war sich darum die Anonymität der Städte gewohnt. «Es sind die subtilen, sozialen Unterschiede, die es ausmachen», sagt Grieder.
In Urnäsch hat er sich augenblicklich wohlgefühlt. Den anderen beiden Gemeinden, bei welchen er sich ebenfalls beworben hatte, sagte er kurzerhand ab. Er blieb als evangelischer Pfarrer in der Hinterländer Gemeinde. Am 1. April 1990 trat er die Stelle an, und hält seit mittlerweile 30 Jahren an ihr fest. «Ich hatte nie gedacht, dass ich so lange bleiben werde», sagt Markus Grieder. Damals, mit 32 Jahren, hatte er solche Zeithorizonte noch nicht vor Augen.
Doch die Zeit verflog. Wenn er die vergangenen Jahre Revue passieren lässt, zieht Grieder ein positives Fazit. Er habe viele gute Erfahrungen machen dürfen. Aufgrund seines jungen Alters fühlte er sich zu Beginn manchmal fehl am Platz. Doch die Bürgerinnen und Bürger zollten ihm gleich Respekt und sprachen ihn mit «Herr Pfarrer» an. Eine Bezeichnung, die Grieder heute noch manchmal suspekt erscheint. In der Seelsorge musste er sich mit Ehekonflikten, Trauer und Krisen auseinandersetzen. In der Jugendarbeit hegte er mit 40 Jahren die Befürchtung, er verliere den Draht zu den Jugendlichen. Doch das Vertrauen wuchs.
Alles in allem: Es lief gut für den zugezogenen Pfarrer. So gut, dass er heute, auf die Schattenseiten seines Berufs angesprochen, sagt, die gebe es nicht. Er fühle sich wohl, setze sich gerne mit den Bedürfnissen der Mitmenschen auseinander. Und:
«Ich fühle, ich bin angekommen.»
Das liege auch an Urnäsch. Die Bürgerinnen und Bürger zeigen sich gemäss seiner Auffassung offen für das Spirituelle. Der 62-Jährige ist ein Pfarrer, der sich schon früh von dogmatischen Verengungen lösen wollte.
«Für mich bedeutet der Glaube an Christus eine grösstmögliche innere Weite.»
Bibelstellen zu interpretieren und zu vermitteln, erlaubten einen grossen Interpretationsspielraum. Grieder lotet diesen aus, indem er auf die christliche Spiritualität setzt. Er hat die Kontemplation in seiner Arbeit verankert, bietet christliche Meditationen an. Für ihn ist diese Vertiefungsform des Glaubens sehr wichtig.
Aufgewachsen ist er gänzlich anders. Streng freikirchlich erzogen, sehnte er sich nach einem Befreiungsschlag. So war denn auch die Vorstellung, einmal Pfarrer zu werden in weiter Ferne. Grieder entschied sich, den Beruf des Primarlehrers zu erlernen. «Ich erinnere mich, wie ich während des Semis eines Tages einen dunkelblauen Wintermantel trug. Ein Kommilitone meinte, ich sehe aus wie ein Pfarrer. Fuchsteufelswild wurde ich», sagt Grieder und lacht.
Eine Zukunft als Lehrer sah er dann aber doch nicht. Er schwenkte um und verbrachte eine Zeit am Konservatorium mit dem Schwerpunkt Klavier. Mit 25 begann Grieder schliesslich ein Theologiestudium. Heute sagt er, er habe den schönsten Beruf der Welt gewählt.
Die mystische Seite des Christentums habe er während des Studiums entdeckt. Bis heute zeigt sich Grieder fasziniert vom Buddhismus, verbrachte 2018 einige Zeit in einem Kloster in Nepal.
«Sich mit anderen Religionen auseinanderzusetzen, ist von grosser Wichtigkeit.»
Es sei ein wirkliches Aufeinanderzugehen, ein gelebtes Miteinander. Eine Grundhaltung, die er sich auch von der Landeskirche wünscht. Markus Grieder ist kein Pfarrer, der mit dem Strom schwimmt. Er scheut sich nicht davor, anzuecken. Im Rahmen der Revision der Verfassung der Landeskirche AR/AI befindet er sich in der Opposition. Auch propagiert Grieder antizyklisch die Beibehaltung der kleinen Kirchgemeinden, da er eine Anonymisierung der Gesellschaft fürchtet. Für seine Überzeugungen steht der Urnäscher ein; in den 90er-Jahren war er im Kirchenrat engagiert, seit 30 Jahren ist er in der Synode aktiv und arbeitet in drei Kommissionen mit.
Für die kommenden drei Jahre bis zur Pensionierung will sich Grieder vermehrt auf die Seelsorge konzentrieren. Für ihn ist klar, das Bedürfnis ist da. «Wenn ich mehr mache, wird die Nachfrage auch grösser.» Er sei zwar kein Therapeut, aber er könne was. Allenfalls würde er je nach Problemstellung eine Delegation an Psychologen ins Auge fassen, doch sieht sich Grieder in erster Linie als Ansprechperson für sämtliche Belange, als «Allrounder». Grieder:
«Es ist wie beim Hausarzt. Er ist meine Anlaufstelle für sämtliche medizinische Belange und weist mich notfalls an einen Spezialisten weiter. Dasselbe Prinzip sollte für den Dorfpfarrer gelten.»
Welche Pläne der Urnäscher nach dem Erreichen des Rentenalters verfolgen wird, weiss er noch nicht. Zuerst ein Jahr Pause machen, sagt er. «Passiv werde ich aber bestimmt nicht!» Allenfalls werde er sich stärker den Meditationen widmen, Klavier spielen oder sich für das Hilfsprojekt «Friendship Nepal» einsetzen, in dessen Vorstand er seit Jahren tätig ist. All das, was ihn zeitlebens ohnehin schon begleitet hat.