Lindsey Vonn war einmal Chinesin

Vor kurzem besuchte ich ein Konzert in Basel. Des ungewissen Wetters wegen entschloss ich mich, mit dem Zug hinzufahren – und natürlich auch wieder zurück. Kurz zum Konzert: Es war sehr gut.

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Bild: Martina Basista

Bild: Martina Basista

Vor kurzem besuchte ich ein Konzert in Basel. Des ungewissen Wetters wegen entschloss ich mich, mit dem Zug hinzufahren – und natürlich auch wieder zurück. Kurz zum Konzert: Es war sehr gut. So empfand ich es als halb so schlimm, dass ich an einem heiligen Sonntagabend den Zug in Basel, der mich zurück in die Ostschweiz bringen sollte, erst um 23 Uhr bestieg. Der Schlaf würde zwar ein bisschen zu kurz kommen, aber sobald es Montag ist, dauert es bis zum Freitag ja nicht mehr lange.

Nun aber zum eigentlichen Thema: Da die Wagen der SBB ohnehin eine Ansammlung von Menschen verschiedener Charaktere sind, erachtete ich es als umso interessanter, die Klientel zu später Stunde ein wenig zu beobachten. Zuerst sind die kleineren Gruppen à vier Leute, die verzweifelt nach einem Viererabteil suchen. Erschwerend kam hinzu, dass der Zug wegen der vielen Konzertbesucher brechend voll war. Fleissig wird diskutiert, wie wohl die beste Aufteilung wäre. Irgendwann klappte es, und dies sogar ganz ohne Tränen, obwohl nicht alle beisammen sitzen konnten. Dann gibt es Gruppen der zwei Kolleginnen. Vor der Abfahrt werden kurz die eigenen Eindrücke des Gehörten und Gesehenen ausgetauscht, kaum ist der Zug in Bewegung, fallen die Augen zu und es herrscht Ruhe. Verständlich, es ist auch schon spät, und rund drei Stunden zu stehen, macht müde. Danebst hat es Ruhige, Musikhörende, Gamer oder Podcast-Gucker. Und dann gibt es noch die Nervigen. Auch zu später Stunde quasseln sie ununterbrochen vor sich hin – auch wenn schon lange keiner mehr zuhört. Besonders eine Dame, ich schätzte sie auf etwa 33 Jahre, ging als schlechtes Beispiel voran. Sie stellte ganz eigene und weitgehend wirre Theorien über den Bandleader auf. Diese gingen so weit, dass sie sogar wusste, wieso er gerade eben dieses und jenes Instrument gewählt habe. Natürlich wegen seiner Kindheit, in der ihn die Mutter gezwungen habe, ein anderes Instrument zu spielen. Anfangs hört man amüsiert zu, dann wirds irgendwann zu viel und man hofft innerlich, dass sie ebenfalls bald einschlafen würde. Und kurz vor dem Sprung aus dem fahrenden Zug montiert man die Kopfhörer und macht dicht. Letzteres funktionierte bis kurz vor Zürich ganz gut. Ich nahm die Stöpsel genau rechtzeitig aus den Ohren, um zu hören, dass Lindsey Vonn früher eine Chinesin war. Wie sie darauf kam? Ich wollte es gar nicht wissen. Gekonnt wählte ich aber im Zug nach St. Gallen einen anderen Wagen aus, als sie – und stellte mir vor, wie Lindsey Vonn wohl als Chinesin aussehen würde.

Markus Fässler