LICHTENSTEIG: Heimkommen – und wieder gehen

«Scratches» – Kratzer nennt sich die Band um die ausgewanderte Toggenburger Künstlerin Sarah Maria Bürgin. Am Samstag gab Scratches in Lichtensteig ein Heimwehkonzert. Nachher ging’s zurück nach Basel.

Michael Hug
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Sarah Maria Bürgin bei ihrem «Heimkommen-Auftritt» am Samstag in Lichtensteig. (Bild: Michael Hug)

Sarah Maria Bürgin bei ihrem «Heimkommen-Auftritt» am Samstag in Lichtensteig. (Bild: Michael Hug)

«Wenn sie singt, liegt Rauch in der Luft» schrieb eine Zeitung im Vorfeld des Lichtensteiger Auftritt der Basler Band Scratches.

Ganz so unrecht hatte der Schreiber nicht: Wenn Sarah Maria Bürgin Musik macht, wird es dunkel. Nicht nur im Raum, sondern auch die Stimmung. «Dark Indie» nannte ein deutsches Musikblatt den besonderen Stil, den Sarah Maria Bürgin, Sängerin von Scratches, zelebriert. Ohne Federlesens geht es dabei zur Sache, und auch wenn man mangels optimiertem Soundmix am Samstagabend bei «Behind the Bush» in Lichtensteig fast gar nichts von den Texten der Songs verstehen konnte, war klar, um was es ging: um Emotionen. Um tiefe, schmerzende Emotionen.

«Es geht mir um Nahaufnahmen», sagte Sarah Maria Bürgin bei einem Interview mit dem «St. Galler Tagblatt» vor drei Jahren. Sie will kratzen, eben «scratch», nicht nur an der Oberfläche, sondern tiefer an den inneren Leerstellen, den Narben, «den inneren Tattoos», wie sie sagt. Sie will dorthin, wo es dunkel wird, wo Melancholie auf Dramatik trifft, wo man nicht so gerne hinschaut. «Licht empfindet man viel schöner, wenn man auch ins Dunkle geblickt hat.» Wie das geht, hat die ausgebildete Theaterregisseurin in ihren Regiearbeiten versucht zu zeigen. In der Musik sei dies viel einfacher, meinte sie in dem erwähnten Interview: «In der Musik darf es vor Melancholie nur so triefen.» Ein wenig wie nach Marianne Faithfull klingt ihre Musik, oder wie eine Zuhörerin bei «Behind the Bush» bemerkte: «Leonard Cohen, wenn er Amanda Lear wäre.»

Unterdrücktes wird hervorgezerrt

Und so trieft und schleppt und kratzt und schleift es bei Scratches, schreit es und erstickt jegliche Freude. Es geht laut und elektronisch zu und her und reisst trotzdem mit, und es scheint, als würde in jedem Zuhörenden ­jenes Dunkle, Unergründliche, Unterdrückte hervorgezerrt, erhellt und erlöst, das eben gerade dies nicht will: Ans Licht gezerrt zu werden.

Man leidet mit bei «Losing You» oder «Medusa’s Hair». Zwei Alben hat Scratches bisher herausgebracht, eben erst kam «Before Beyond» auf den Markt. Sarah Maria Bürgin lebt heute, 44-jährig, mit ihrer Familie in Basel. Ihre Lehr- und Wanderjahre waren – aufgrund der Tätigkeit ihrer Eltern als Entwicklungshelfer – ziemlich bunt und abwechslungsreich.

«Geboren bin ich in Bern, und noch bevor ich richtig sprechen konnte, sind meine Eltern mit mir nach Afrika gezogen. Meine jüngere Schwester ist im Tschad geboren, die noch jüngere in Ghana, mein Bruder ist aus Nepal. Die ersten Schuljahre habe ich in Bhutan verbracht, dann einige in Wittenbach und Amden und die letzten an der Kanti in Wattwil.» Und so war denn das Engagement im Toggenburg am Samstag auch eine Art Heimkommen – um gleich wieder zu gehen.

Michael Hug

redaktion@toggenburgmedien.ch