Bevor Herisau am 10. September in einen grossen Picknick-Platz verwandelt wird, müssen rote und weisse Tücher gesammelt werden. Am Donnerstag fiel der Startschuss für die Tuchjagd der Riklin-Brüder.
«S Bignik isch onderwägs! Mer suechid roti und wissi Tüecher» dieser Spruch klang am Donnerstag via Megafon durch Herisau. Verantwortlich dafür waren Frank und Patrik Riklin, die mit ihrem Konzeptkunstwerk Bignik den Ausserrhoder Hauptort besuchen.
Für das überdimensionale Picknicktuch das am 10. September im Dorfkern ausgelegt werden soll, sind die Zwillinge auf die Mithilfe der Bevölkerung angewiesen. Zum einen bei der Tuchjagd, die am Donnerstag offiziell eröffnet wurde, zum anderen beim Nähen, Auslegen und beim Zusammenlegen.
Die Stimme aus dem Megafon, die am Donnerstagmittag an der Bergstrasse und am Höhenweg erklang, gehört Ruedi Holderegger. Der Rehetobler, der sonst gerne Witze, unter anderem via Audio-Stelen am Witzweg, erzählt, ist Tuchjäger der ersten Stunde. Von den Landfrauen sei er angefragt worden, erzählt Holderegger.
Mit seinem Rapid und dem Bignik-Anhänger begleitet er die Riklins auf der Tuchjagd. An diesem Donnerstag dabei: sein Enkel Lewin. «Ein richtiges Generationenprojekt halt», sagt Frank Riklin. Vor zehn Jahren wurde das Bignik zum ersten Mal durchgeführt. Die Tücher, die damals gesammelt und zu Modulen vernäht wurden, sind heute noch im Einsatz.
Und mit jedem Durchführungsort kommen neue hinzu. «Tischtücher, Bettlaken, Vorhänge, wir nehmen alles», sagt Dieter Herzmann. Der Partner in einer IT-Firma begleitet die Riklins seit der Durchführung in St.Gallen auf der Tuchjagd. «Mit der Zeit riecht man richtig, ob die Leute noch Tücher zu Hause haben, oder nicht», so Herzmann.
Zum Bignik gebracht hat ihn die Neugier. «Ich wollte wissen, was hinter so einem Konzeptkunstwerk steht. Der Aufwand ist riesig. Der Ertrag aber auch», so Herzmann, der am Donnerstag von Tür zu Tür ging und die Herisauerinnen und Herisauer nach Stoffen fragte.
Die gesammelten Stoffe werden schliesslich zugeschnitten und für das Nähen aufbereitet. Mit Hilfe der Bevölkerung. Am 23. August findet im «Treffpunkt» eine öffentliche Näh-Session statt. «Vier rötliche oder weissliche Tücher werden miteinander kombiniert, sodass daraus weisse und rote Tuchmodule entstehen können», so Susanne Gresser, die sich schon seit Jahren am Bignik-Prozess beteiligt. Weisse Klettverschlüsse in den Ecken helfen, die einzelnen Module bei der Auslegung schachbrettartig miteinander zu verbinden.
Obwohl das rot-weisse Tischtuch der Grossmutter die Vorlage für das riesige Bignick-Tuch war, ist man beim Farbkonzept streng und tolerant zugleich, erklärt Patrik Riklin. «Eine gewisse Fehlerkultur gehört dazu, denn nicht alle haben ein rötliches oder weissliches Tuch zuhause. Viel wichtiger ist uns die Partizipation der Bevölkerung. Das Ziel ist, irgendwann für jede Person in der Ostschweiz ein Tuch im Bignik-Tuch zu haben. Aktuell sind wir etwa bei sieben Prozent», so Riklin.
Ab sofort können vor dem «Treffpunkt» und im Gemeindehaus Herisau rötliche und weissliche Tücher abgegeben werden. Am 23. August findet im Restaurant Treffpunkt ein Nähanlass statt, wo ein Teil der Tücher gemeinsam vernäht wird.
Wenn sie an den Türen klingeln und nach Tüchern fragen seien die Reaktionen ganz unterschiedlich. Es entstünden aber fast immer interessante Gespräche, und oftmals schaue sogar eine Tuchbeute dabei heraus.
So auch am Donnerstag. Das Bignik-Traktörli ist schon mit einigen Tüchern, unter anderem Stoffrollen der Cilander AG, gefüllt, als es auf die Bergstrasse einbiegt. Dieter Herzmann kommt mit einem weissen Stoff von einer Klingelaktion zurück. «Die Dame sucht gerade noch mehr», verkündet er strahlend.
Wie sich kurz darauf herausstellt, handelt es sich bei der Tuchlieferantin um eine Bekannte der Riklins. Schweizer Illustrierte-Fotografin Fabienne Bühler. Dass sie sich hier an ihrer Haustür treffen, ist aber ein Zufall. Sie überreicht den Tuchjägern eine violette Decke mit Schmetterlingen.
«Das war die Babydecke meiner elf- und achtjährigen Töchter. Sie hat einen grossen emotionalen Wert und es freut mich, wenn sie im Bignik-Tuch verewigt wird», sagt Bühler. Sie werde am 10. September gemeinsam mit ihren Töchtern auf dem grossen Tuch nach ihrer Babydecke suchen.
Was genau steckt hinter der Kunstintervention Bignik, die 2012 von den St.Galler Konzeptkünstlern Frank und Patrik Riklin initiiert wurde? Die «WandelBar» der Stiftung Dorfbild Herisau bringt die Antworten. Riklins werden persönlich ihre künstlerische Vision des jährlich wachsenden Picknick-Tuchs vorstellen und aufzeigen, in welcher Form die Herisauerinnen und Herisauer Teil von Bignik werden können. Interessiert? Dann dürfen Sie die «WandelBar» vom 17. Juni nicht verpassen. Sie findet von 10 bis 11.30 Uhr im Cinétreff Herisau statt. (pd)
Nachdem die Tuchjäger das Quartier abgegrast hatten, begaben sie sich zum Obstmarkt-Kreisel, wo sie einige Runden drehten. Dieses Mal mit Dieter Herzmann am Megafon. «Es kann mir keiner angeben, er habe keinen Stoff zu Hause», ruft er ins Megafon. Er geniesst die Abwechslung zum Berufsalltag und das in Kontakttreten mit Menschen.
Genau darum soll es beim Bignik laut Frank Riklin auch gehen. «Auf dem Tuch entstehen unübliche Gemeinschaften. Es ist nicht nur Konzeptkunst, sondern auch eine Art gesellschaftliches Projekt», erklärt er. Dies beginne bereits bei der Tuchsammlung. «Wenn jemand zwei Tücher abgibt, ‹befreit› er damit jemand anderes. Es ist natürlich kein Müssen, aber unsere Vision ist klar, für jeden Kopf in der Ostschweiz ein Tuch zu verarbeiten», so Riklin.
Dabei könnte sogar das Wallis mithelfen. Die Riklins hätten regelmässig Anfragen aus der Schweiz und dem Ausland für das Bignik. «Es soll aber nicht instrumentalisiert werden. Wir gehen mit dem Bignik nur dort hin, wo der Gedanke, die Vision, des Projekts, ein Tuch pro Einwohnerin und Einwohner, verstanden und mitgetragen werden», so Riklin.
Für Herisau angefragt wurden die Brüder von Karin Jung von der Stiftung Dorfbild. Die Auslegung beginnt am 10. September um 9 Uhr im Zentrum. Patrik Riklin sagt: «Umso mehr Leute mitanpacken, desto mehr Module können ausgelegt werden und desto eindrücklicher das Ergebnis. Bignik ist kein Service Public, sondern ein «Public Service». Das Ziel wäre natürlich, dass alle rund 3000 Bignik-Tuchmodule ausgebreitet werden. In welche Richtung sich das Bigniktuch ausbreitet, werden wir nicht beeinflussen. Es ist wie eine Flüssigkeit, die sich ihren Weg durch Herisaus Strassen bahnen wird.»