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Kindertagesstätten dürfen nicht schliessen, obwohl viele Eltern die Kinder zu Hause betreuen. Finanzielle Soforthilfe ist nötig. In Ausserrhoden springt der Kanton ein.
Die Situation der Kinderkrippen ist paradox: Gemäss Verordnung des Bundes müssen sie offen sein, gleichzeitig behalten viele Eltern ihre Kinder daheim. Am Mittwoch hat der Kanton 200 000 Franken Soforthilfe für Kindertagesstätten gesprochen. Bis am 23. April können die acht Institutionen, die in Ausserrhoden knapp 270 Betreuungsplätze an 13 Standorten anbieten, ihr Gesuchsformular einreichen.
«Mit dieser ersten Tranche an Soforthilfe sollen Liquiditätsengpässe aufgefangen werden», sagt Andreas Tinner, Leiter des kantonalen Amtes für Soziales. Der Kanton finanziert die Soforthilfe aus dem Fonds für gemeinnützige Zwecke. Die Fondsgelder sind bestimmt für Bau- und Betriebsbeiträge an nicht-staatliche Organisationen mit sozialem Zweck. Es gehe in erster Linie darum, dass die Aprillöhne und die Mietkosten bezahlt werden können. Denn so Tinner:
«Die Betreuungspersonen leisten wichtige Arbeit. Sie sollen sich keine Sorgen wegen der Löhne machen müssen.»
Wie Tinner aus der neu geforderten wöchentlichen Berichterstattung seitens der Anbieter von Kita-Plätzen weiss, ist die Auslastung der Kindertagesstätten im Kanton seit Ausbruch der Coronakrise auf durchschnittlich rund 30 Prozent gesunken.
«Etwa die Hälfte der Eltern betreut die Kinder nun zu Hause», sagt Anne Zesiger, Präsidentin des Vereins Kita Wirbelwind. Dieser betreibt die Standorte Heiden und Wolfhalden. Für alle Mitarbeitenden wurde Kurzarbeit beantragt, alle 16 Teammitglieder arbeiten nach neuem Plan und alle etwa gleich viele Stunden, so Zesiger.
Für den Monat April könne man den Eltern in Sachen Kosten entgegenkommen. Wer den Betreuungsplatz bezahlt aber nicht nutzt, erhält «Jokertage», die bis Ende Oktober bezogen werden können. Andere Eltern machen von der Möglichkeit Gebrauch, im April keine Zahlung zu leisten, wenn die Kleinen nicht in die Kita gehen, erklärt Anne Zesiger. Ob dieses Entgegenkommen auch im Mai möglich ist, sei offen. «Die Situation ist finanziell einschneidend, auch wenn wir in der Vergangenheit ein kleines Polster erarbeitet haben», sagt Anne Zesiger.
Sie ist dankbar für das Engagement des Kantons und hofft, dass nun auch die Gemeinden einen Beitrag leisten. Als Vereinspräsidentin kämpfe sie seit Jahren dafür, dass die Vorderländer Gemeinden sich finanziell engagieren, nicht überall findet sie Gehör.
Etwas Gutes habe die Coronakrise: Sieben der acht Anbieter von Familienergänzender Betreuung in Ausserrhoden haben sich zur losen Gruppe Kita’s AR zusammengeschlossen. «So haben unsere Anliegen mehr Gewicht», verspricht sich Anne Zesiger.
Hans-Peter Ramsauer, Präsident der Kita Waldstatt, koordiniert die Gruppe im Kontakt mit dem Kanton und den Gemeinden. Der ehemalige Waldstätter Gemeindepräsident war in den vergangenen Wochen doppelt gefordert, musste doch die Kita Waldstatt ihren Betrieb vorübergehend einstellen, da zu viele Mitarbeitende einer Risikogruppe angehören oder krankheitshalber ausfielen.
Einen Coronafall habe man aber nicht gehabt, betont Ramsauer. Die Kita Rosalie in Urnäsch und die Kibe Herisau übernahmen die zu betreuenden Kinder der Kita Waldstatt. Heute Montag nimmt sie den Betrieb wieder auf. «Wir haben vom Kanton Schutzmasken erhalten, um die Mitarbeitenden besser schützen zu können», sagt Ramsauer. Doch man wolle niemanden aus den Risikogruppen nötigen, zu arbeiten. Auch die Kita Waldstatt hat für ihre Angestellten Kurzarbeit beantragt, da die Betreuungszahlen eingebrochen sind und die Fixkosten unverändert bleiben.
Hans-Peter Ramsauer bedauert, dass Kinderbetreuungsstätten seitens der Ausserrhoder Gemeinden bis anhin meist wenig Unterstützung erhalten. Störend sei dies auch, weil man sich als «familienfreundlicher» Kanton positioniere. Ziel müsse nun sein, dass ein kantonales Gesetz für die familienergänzende Kinderbetreuung erarbeitet werde. Ramsauer erwartet von jenen Gemeinden Solidarität, die kein Standort einer Kinderkrippe sind. Vorstellbar wäre ein Kostenteiler zwischen Gemeinden und Kanton ähnlich wie beim öffentlichen Verkehr oder der Schule.
Die Trägerschaften von Kindertagesstätten haben diese Woche in einem gemeinsamen Schreiben an die Gemeindepräsidienkonferenz um Unterstützung gebeten. «Wir haben den Brief am Donnerstag erhalten und prüfen die Anliegen der Kitas im Vorstand», sagt Reto Altherr, welcher der Gemeindepräsidienkonferenz vorsteht. Er sagt:
«Die Gemeinden sein sich der Bedeutung der Kitas bewusst.»
In Ausserrhoden sei die Situation insofern speziell, als nur die Hälfte der Gemeinden Standort einer Kita ist. Seitens der Gemeinde Teufen, deren Präsident Altherr ist, werde man schauen, welche Hilfe man im Einzelfall leisten könne.
Einen Auslastungsrückgang von 85 Prozent gibt Jasmin Steffen an. Die Einnahmen würden nicht einmal ausreichen, um die Fixkosten zu decken. Die Leiterin des Chinderhus Blueme in Grub kann derzeit zudem nur drei von sieben Teammitgliedern einsetzen. Die anderen gehören einer Risikogruppe an oder fehlen aufgrund eines Unfalls. Steffen bemängelt, dass der Bund sich lange nicht klar zur Situation der Kinderkrippen geäussert habe. Die Soforthilfe des Kantons nehmen ihre Institution gerne in Anspruch. Jasmin Steffen sagt: «Wir versuchen alles, damit es auch nach Corona noch eine Kita gibt.»
In Teufen gibt es mit der Kita Chinderwelt und der Kinderkrippe Chäferfest zwei Anbieter. Je nach Standort sei der Betreuungsrückgang unterschiedlich gross gewesen, sagt Sandra Gschwend, Geschäftsführerin der Kita Chinderwelt. In Speicher käme noch ungefähr die Hälfte der Kinder in die Chinderwelt, im kleinen Standort Gais sei kaum ein Rückgang zu verzeichnen und in Niederteufen liege die Auslastung ungefähr bei 35 Prozent. Dieser Standort musste zudem vorübergehend geschlossen werden, nachdem ein Teammitglied an Covid-19 erkrankt war. Die Schliessung war vom Kanton auf ein Gesuch hin bewilligt worden. Sandra Gschwend sagt:
«Wir sind froh, um die Soforthilfe seitens des Kantons und gespannt, wie die Gelder verteilt werden.»
Man sei in einer Zwickmühle. Einerseits gelten Kinderkrippen als systemrelevant, andererseits fehlen die zu betreuenden Kinder. «Wir wollen unseren Auftrag erfüllen», betont die Geschäftsführerin. Die Frist zur Einreichung des Gesuchsformulars findet sie ausreichend.
Nadja Rechsteiner, Geschäftsführerin der Kibe Herisau, lobt explizit die Zusammenarbeit mit den Standortgemeinden Herisau und Bühler sowie deren Engagement. So würden die Gemeinden etwa bei den Mietkosten einen wichtigen Beitrag leisten. Vom Kanton erwartet Rechsteiner gesetzliche Finanzierungsgrundlagen, zumal seit Januar 2019 kantonale Basisrichtlinien für Kindertagesstätten gelten, die auch Kosten zur Folge haben. Abgesehen von der nun gesprochenen Soforthilfe sei vom Kanton bisher kein Franken geflossen.
«Es ist uns bewusst, dass die Soforthilfe nicht alle Ausfälle kompensieren kann», sagt Andreas Tinner. Der Kanton hoffe darauf, dass die Gemeinden einen Teil der im Mai benötigten Hilfsgelder einschiessen werden. Weiter würden eventuell Gelder seitens des Bundes fliessen. «Die Monate April bis Juni werden anspruchsvoll», erwartet Tinner. Er betont die Wichtigkeit der Familienexternen Betreuungsplätze. Das Ausserrhoder Regierungsprogramm unterstreicht diese Bedeutung. Doch zunächst gilt: «Wir müssen dem Angebot, das wir haben, Sorge tragen.»