In Ausserrhoden sorgt eine Frage für rote Köpfe: Braucht es Gott in der Verfassung?

Die 1995 in die Verfassung aufgenommene Präambel soll überarbeitet werden. Das sorgt für hitzige Diskussionen, bevor ein Entwurf vorliegt.

Karin Erni
Drucken

Die Meldung, dass die Verfassungskommission auf eine Nennung von religiösen Begriffen wie Gott oder Schöpfung in der Präambel verzichten will, hat für einigen Wirbel gesorgt. Die Evangelische Volkspartei von Ausserrhoden (EVP) sah sich gar zu einer Medienmitteilung veranlasst.

Der Entscheid der Verfassungskommission blende die religiöse und christliche Tradition des Kantons aus und zeuge von einem eigenartigen Demokratieverständnis, so die Partei. «Die Kommission nimmt damit auf jene 20 Prozent der Ausserrhoderinnen und Ausserrhoder Rücksicht, die keiner Religion angehören. Dieser vorauseilende Gehorsam irritiert.» Weiter heisst es:

«Die Verfassungskommission reiht sich ein in die Reihe von Verantwortlichen, die Weihnachtslieder aus Schulfeiern verbannen oder Kreuze, Kirchenglocken und weitere Symbole mit christlichem Hintergrund aus dem öffentlichen Raum entfernen wollen.»
Ein Schritt nach vorne oder einer zurück? Die Präambel-Frage spaltet Appenzell Ausserrhoden. Im Bild das Regierungsgebäude in Herisau.

Ein Schritt nach vorne oder einer zurück? Die Präambel-Frage spaltet Appenzell Ausserrhoden. Im Bild das Regierungsgebäude in Herisau.

(Bild: Christian Beutler, KEYSTONE)

Auf die Wortwahl kommt es an

Eine Umfrage bei Landeskirche, Parteien und Politikern zu diesem Thema ergibt ein differenzierteres Bild. Kirchenratspräsident Koni Bruderer sieht die Gottesfrage nicht so eng: «Um eine konkrete Aussage zum Verfassungstext zu machen, müsste man ihn erst einmal sehen. Wenn es eine rein weltliche Formulierung werden sollte, würde uns schon etwas fehlen. Sollte aber lediglich das Wort Gott nicht erwähnt sein, fände ich das nicht so schlimm.»

Man könne Inhalte auch in einer Sprache transportieren, welche die Menschen verstehen. Formulierungen wie «wir verdanken unser Leben nicht uns selbst» oder «wir gehen achtsam um mit der uns anvertrauten Welt» und «die Würde aller Menschen ist unantastbar» wären ebenso gut geeignet, den Geist der Bibel wiederzugeben wie die wörtliche Nennung Gottes. Das sei seine persönliche Meinung, sagt Bruderer. Die Evangelisch-reformierte Landeskirche werde wohl während der Vernehmlassung auch offiziell zum Verfassungsentwurf Stellung nehmen.

Unterschiedliche Sichtweisen in den Parteien

CVP-Präsidentin Claudia Frischknecht war als Mitglied der Verfassungskommission in die Entscheidungsfindung involviert. «Ich habe mich ebenfalls dafür ausgesprochen, dass ein offener Begriff anstelle des Wortes Gott gewählt wird.» Frischknecht sagt:

«Der Begriff bedeutet für jeden etwas anderes. Manche Menschen glauben nicht spezifisch an Gott sondern an eine höhere Macht. Mit der offenen Formulierung sind alle angesprochen.»

Das sei ihre persönliche Haltung und entspreche wohl nicht der Parteimeinung, so Frischknecht. «Es ist ein sehr emotionales Thema und es wird bei den Mitgliedern wohl noch für einige Diskussionen sorgen, wenn der Entwurf in die Vernehmlassung kommt.» Frischknecht hofft, dass wegen der Gottesfrage andere, mindestens ebenso wichtige und zukunftweisende Punkte der neuen Verfassung nicht vernachlässigt werden.

SVP will Gottesbezug nicht streichen

SVP-Präsident Anick Volger befürwortet, dass man die Verfassung regelmässig darauf prüft, ob sie noch zeitgemäss ist. Aber jeglichen Gottesbezug zu streichen, hält er für nicht angemessen.

«In der Verfassung sollten die christlichen Werte unserer Gesellschaft zum Ausdruck kommen.»

Wenn man bei der Trennung von Kirche und Staat konsequent wäre, müssten auch die christlichen Feiertage gestrichen werden und das würden wohl die wenigsten begrüssen, so Volger. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit sieht er nicht tangiert. «Bei uns ist jeder frei, zu glauben, was er will.»

Das Lager der Un- und Andersgläubigen wächst

Der Ausserrhoder Kantonsrat Jens Weber stösst sich seit Beginn seiner Amtszeit am Vorlesen des Vaterunsers zum Sessionsbeginn. Er sieht darin einen Verstoss gegen die Glaubens- und Gewissensfreiheit (GGF). «Der Konflikt entsteht, wenn durch konkrete Handlungen – in diesem Fall das Gebet – der Gottesbegriff einer einzigen Religion zugeordnet wird.»

In der Verfassung dagegen könne seiner Meinung nach Gott vorkommen, müsse aber nicht. Es gebe dabei zwei Sichtweisen, erklärt Weber: «Der moderne Rechtsstaat bezieht seine Legitimation aus dem Willen des Volkes. Die Legitimation ist somit nicht die Folge eines Gottesglaubens oder einer Religion.» Damit hätten sich die modernen Staaten klar von einem «Gottes-Staat» distanzieren wollen. Dies spreche für einen Verzicht auf die Erwähnung Gottes in der Verfassung.

Die zweite Sichtweise betreffe die Werte einer Gesellschaft, auf die eine Präambel verweise. Dabei habe in früheren Jahren die Erwähnung von Gott automatisch einen Verweis auf den christlichen Glauben bedeutet. «Andersgläubige oder Nichtgläubige waren damals fast schon vernachlässigbare Minderheiten. Heute ist unsere Gesellschaft viel gemischter. Aus diesem Grund kann die Erwähnung von Gott nicht eindeutig einer Religion zugeordnet werden, sondern lediglich einer höheren Macht.» Aufgrund der GGF müsse aber der Gott-Begriff in einer Präambel konfessions-neutral verstanden werden. Zudem begriffen immer weniger Menschen eine Gottheit als wertdefinierende Grösse, so Weber weiter.

«Die vielen Kirchenaustritte und die mehrheitlich leeren Kirchen sprechen hier eine deutliche Sprache.»

Weber betont, dass er sich als Einzelperson äussere und nicht als SP-Präsident.

Ausserrhoder Bundespolitiker sind sich uneins

Der Ausserrhoder Ständerat Andrea Caroni hat naturgemäss eine liberale Einstellung zum Thema: «Eine Verfassung, sei es im Bund oder im Kanton, braucht an sich keine religiöse Einführung. Die Menschen haben verschiedene – bisweilen auch keine – religiöse Vorstellungen, derweil eine Verfassung für alle da sein sollte. Daher würde ich eine Präambel zwar feierlich halten, auf konkrete religiöse Bezüge jedoch verzichten.»

Nationalrat David Zuberbühler dagegen sind die christlichen Grundwerte sehr wichtig. «Das waren sie nämlich bereits unseren Vorfahren, denen wir so vieles zu verdanken haben.» Sie hätten mit klarem Gottesbewusstsein gehandelt, so Zuberbühler. «Nicht umsonst beginnt die Bundesverfassung mit der Präambel ‹Im Namen Gottes des Allmächtigen›, nicht umsonst steht auf dem Fünfliber der Spruch ‹Dominus Providebit› (Gott wird versorgen), nicht umsonst prangt auf dem Dach des Bundeshauses ein Kreuz und nicht umsonst beinhaltet die Schweizer Flagge ein Kreuz.» Unsere christlichen Grundwerte seien zunehmend bedroht, fürchtet der Politiker. «Der Wissens- und Bedeutungsverlust des christlichen Glaubens und dessen Herkunft ist wohl auf unsere Wohlstandsgesellschaft zurückzuführen. Den christlichen Werten müssen wir auch in Zukunft Sorge tragen.» Zuberbühler sagt:

«Die Anrufung Gottes in der Präambel unserer Kantonsverfassung soll als Bekenntnis zu unserer christlichen Tradition bestehen bleiben.»

Die EVP blendet in ihrer Mitteilung in der Geschichte zurück: «Unser Halbkanton ist aufgrund einer Landteilung entstanden. Dies vor dem Hintergrund der Reformation, die in unserem Kanton unblutig über die Bühne ging. Unser Staatswesen mit den Werten wie Gleichberechtigung, Solidarität und Menschenrechte basiert auf christlichen Werten, welche in der Reformationszeit wieder eine neue und klarere Bedeutung erhalten haben.» Die Kirchen hätten in den letzten Jahrhunderten die wesentlichen Eckpfeiler des Staatswesens mitgeprägt und sich um den schwachen Teil der Gesellschaft gekümmert. Viele Vermögende hätten sich basierend auf ihrer christlich-humanistischen Gesinnung für den Aufbau des Staates und seiner Institutionen eingesetzt, so die EVP.

Die Präambel hat einen weiten Weg vor sich

Der jetzt vorliegende Vorentwurf der Ausserrhoder Kantonsverfassung geht nun zur genauen Formulierung an eine Redaktionskommission. Anschliessend gelangt der Entwurf zur Vernehmlassung an die Parteien und Verbände, bevor Regierung, Kantonsparlament und zuletzt das Volk darüber befinden.

Die aktuelle Kantonsverfassung war 1995 von der Landsgemeinde in Hundwil verabschiedet worden. Zuvor hatte 88 Jahre das gleiche Grundgesetz seinen Dienst getan – dies notabene ohne eine Präambel. Wie ein Blick ins Zeitungsarchiv zeigt, war bei der Gestaltung der damals neu geschaffenen Präambel stark umstritten, ob in deren Formulierung Gott explizit erwähnt werden soll.