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Im Rahmen eines Weiterbildungsurlaubs reiste Markus Grieder dreieinhalb Monate durch Nepal. Im Interview erzählt der Urnäscher Pfarrer von der Kunst der Meditation, einem Hilfsprojekt und wie es ist, zehn Tage lang alleine in einem Kloster zu leben.
Seit bald 30 Jahren sind Sie als reformierter Pfarrer in Urnäsch tätig, können also bereits auf einen Berg an Erfahrung zurückblicken. Braucht es da überhaupt noch Weiterbildung?
Markus Grieder: Unbedingt. Erfahrung geht für mich über das materielle Können des Fachs hinaus. Es geht bei einem Weiterbildungsaufenthalt auch darum, seinen Horizont zu erweitern und seine Batterien auf kreative Art wieder aufzuladen. Zudem kann man sich «Erfahrung», wie auch immer man das messen will, über das ganze Leben aneignen, man hat nie ausgelernt.
Ihr Weiterbildungsaufenthalt führte Sie nach Nepal, in ein Land, das Sie seit 1998 regelmässig bereisen. Woher kommt Ihre Faszination für Nepal?
Schon als Kind interessierte ich mich für dieses Land – insbesondere für den Himalaja. Durch Bücher kam ich später auch in Kontakt mit der Religion. Es ist vor allem der tibetische Buddhismus, der mich fasziniert, eine Religion, die nicht nur in Tibet, sondern auch von den nepalesischen Bergvölkern praktiziert wird.
Was macht den tibetischen Buddhismus aus?
Tibetischer Buddhismus ist ein Zweig des Mahayana-Buddhismus. Dieser zeichnet sich zum einen dadurch aus, dass er ein ganzes Pantheon von Gottheiten besitzt, vergleichbar mit der griechischen Mythologie. Zum anderen stellt er eine eher mystische Ausprägung des Buddhismus dar, in welchem Meditations- und Yoga-Techniken eine ausgeprägte Rolle spielen.
Sie sagten einst, dass Sie im Austausch mit anderen Religionen keine Gefahr, sondern eine Bereicherung für den eigenen Glauben sehen. Was konnten Sie durch die Beschäftigung mit dem Buddhismus in Bezug auf Ihren christlichen Glauben lernen?
Die Leute reagieren immer wieder erstaunt, wenn sie erfahren, dass ich als christlicher Pfarrer interreligiöse Kontakte pflege. Viele glauben, dass man dadurch seinen wahren Glauben verlieren würde. Das ist aber völliger Mumpitz. Mir hat der Buddhismus viel gegeben, um das Christentum neu zu entdecken, um die Religion noch tiefer lieben zu lernen. Ich bin ein Christ, aber im Herzen doch stark verbunden mit dem Buddhismus. Es gibt viele Punkte, wo ich keinen Unterschied mehr sehen kann.
Zum Beispiel?
Ich meditiere sehr oft, auch wenn ich zu Hause bin. Ich muss aber zugeben, dass ich in Sachen Meditation in den Augen eines buddhistischen Meisters wohl erst eine Amöbe bin, die mal kurz über den Tellerrand geschnuppert hat. (lacht)
Worin liegt für Sie der Reiz an der Meditation?
Meditation ist für mich einerseits geistig-seelisches Wellness. Es geht darum, sich selbst zu zentrieren, eine innere Ruhe zu pflegen, runterzufahren, besonders dann, wenn man gestresst ist. Natürlich geht Meditation aber noch viel tiefer: Es geht schliesslich darum, im Innersten Gott oder dem Göttlichen zu begegnen.
Wie praktizierten Sie die Meditation auf Ihrer Nepalreise?
Ich hielt mich zwei Mal in einem Kloster auf. Zunächst in einem winzigen, 500 Jahre alten Kloster in der Nähe von Jomsom im Annapurna Nationalpark. Später folgte ein sechswöchiger Aufenthalt in einem Nonnenkloster. Bei meinem ersten Klosteraufenthalt war ich ganz alleine. Nur ein alter Mesmer war noch da, der für mich kochte. Rund um das Kloster gab es viele Orte zum Meditieren, etwa unter einem uralten Baum oder auf einem Felsvorsprung.
Warum wollten Sie während dieser zehn Tage alleine sein?
Ich liebe es, allein zu sein. Auch hier in der Schweiz gehe ich oft alleine in die Natur, auch wenn ich es natürlich ebenso schätze, gemeinsam mit meiner Frau unterwegs zu sein. Das Alleinsein ist durch nichts zu übertreffen, man spürt sich, aber man ist sich selbst auch am meisten ausgeliefert.
Eine furchtbare Vorstellung.
Ja, aus diesem Grund bereitet die Meditation auch vielen Menschen Angst. Auch ich hatte, als ich alleine im Kloster war, am ersten Tag meine Motivationskrisen und dachte: «Spinnst du eigentlich?» Aber wenn man das überwunden hat, kann Meditation zu Glücksgefühlen führen, die man noch kaum für möglich gehalten hat.
Während Ihres dreimonatigen Aufenthaltes besuchten Sie auch das Dorf Budhabare, wo Ihr 2008 gegründeter Verein «Friendship Nepal» Entwicklungshilfe leistet. Mit welchen Problemen haben die Nepalesen zu kämpfen?
In Nepal gibt es eine Vielzahl an Problemen: Da ist zum einen die korrupte Regierung, zum anderen bestimmen Armut und Alkoholismus das Leben vieler Nepalesen, wobei das eine das andere bedingt. Ein weiteres Problem ist die Abwanderung. Hunderttausende von jungen Menschen mit guter Bildung müssen sich als Gastarbeiter in arabischen Ländern verdingen. Viele arbeiten dabei unter den schlechtesten Bedingungen, werden krank oder sterben sogar. Jede Woche werden am Flughafen in Kathmandu Särge ausgeladen – das sind herzzerreissende Szenen, wobei eine brachiale Wut diesen Ungerechtigkeiten gegenüber hochkommt.
Was kann Ihr Verein dagegen unternehmen?
Wir setzen an verschiedenen Punkten an. Zum einen geht es uns darum, die Abwanderung zu stoppen, indem wir Arbeitsmöglichkeiten im Land schaffen. Zum Beispiel, indem wir Frauen im Weben von traditionellen Stoffen schulen. Denn dafür gäbe es in Nepal einen guten Absatzmarkt. Daneben setzen wir auch generell im Bildungsbereich an, finanzieren Lehrpersonen, Schulmaterial oder Schuluniformen. Auch den Bau oder Wiederaufbau von Schulen und Kindergärten, die durch das Erdbeben im Jahr 2014 zerstört wurden, unterstützen wir.
Sie nannten vorhin das Stichwort Korruption. Wie gelingt es Ihnen als Non-Government-Organisation, die korrupten Verhältnisse, die im Land vorherrschen, zu umgehen?
Nepal ist zaghaft daran, ein föderalistischer Staat zu werden. Man kann die Korruption weitgehend umgehen, indem man versucht, die direkte Zusammenarbeit mit der Regierung zu meiden und stattdessen direkt mit den Leuten auf kommunaler Ebene, etwa mit der Schulkommission, zusammenzuarbeiten. Ich würde mich weigern, der Regierung auch nur einen Franken abzugeben, denn erfahrungsgemäss landet ein Viertel bis die Hälfte des Geldes in den privaten Taschen der mächtigen Herrschaften und nicht dort, wo es eigentlich gebraucht wird. Daher ist es wichtig, dass man das direkte Gespräch mit den Menschen vor Ort sucht.
Wie sieht diese Zusammenarbeit mit den Einheimischen konkret aus?
Wir setzen auf nachhaltigen Entwicklungsaustausch. Heisst: Wir versuchen im Gespräch herauszufinden, wo Entwicklungshilfe effizient sein kann, und bieten die nötige Unterstützung an. Die Ideen für sämtliche Projekte kommen aber fast ausschliesslich von den Einheimischen. Nur wenn es zum Beispiel um den Abbau von Gewalt an Schulen geht, kommen Impulse von uns. Letztlich ist diese Form effizienter, als wenn man versucht, westliche Ideen oder Organisationsformen durchzusetzen.
Generell: Was können wir Schweizer von den Nepalesen lernen?
Ich habe gelernt, dass mein christlicher Glaube nur dann Bedeutung hat, wenn er nicht geschwatzt, sondern gelebt wird. Das war das, was ich an den Nepalesen immer wieder bewunderte; das Praktizieren ihrer Religion ist ihnen viel wichtiger als die Theorie. Generell kann man von den Nepalesen viel lernen, sie sind neugierig, fröhlich, gastfreundlich und haben eine Achtsamkeit für Details, die einem selber auch nahelegen, besser hinzusehen und besser hinzuhören.
Hinweis: Heute Samstag veranstaltet Markus Grieder um 19 Uhr einen Bildervortrag zu seiner Nepalreise in der evangelischen Kirche Urnäsch.