Hirngespinst oder prüfenswerte Vision? Heimweh-Appenzeller schlägt Wiedervereinigung von Ausserrhoden und Innerrhoden vor – Reaktionen

Der gebürtige Hundwiler Walter Knöpfel schlägt in einer Vernehmlassung zur Initiative «Starke Ausserrhoder Gemeinden» vor, das Thema Wiedervereinigung aufzugreifen. Die Reaktionen reichen von schlichtem Schweigen über Erschrecken bis zu verhaltener Euphorie, wie eine Umfrage zeigt.

Margrith Widmer
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Als «Appenzeller Lösung» empfiehlt Walter Knöpfel die Wiedervereinigung beider Appenzell und die Bildung von vier Gemeinden: Hinterland, Mittelland, Vorderland plus Oberegg und Innerrhoden.

Als «Appenzeller Lösung» empfiehlt Walter Knöpfel die Wiedervereinigung beider Appenzell und die Bildung von vier Gemeinden: Hinterland, Mittelland, Vorderland plus Oberegg und Innerrhoden.

Bild: Christian Beutler / KEYSTONE

Die Regierungen und Parlamente beider Appenzell sollten die in beiden Kantonen anstehenden Strukturreformen (Revisionen der Kantonsverfassungen, Reduktion der Ausserrhoder Gemeinden, Fusion der Bezirke Schwende und Rüte) zum Anlass nehmen, grösser zu denken und die Wiedervereinigung «mutig und ernsthaft» anzugehen: Das schlägt der in Oberbüren lebende gebürtige Hundwiler Walter Knöpfel in der Vernehmlassung zum Gegenvorschlag der Ausserrhoder Regierung zur Initiative «Starke Ausserrhoder Gemeinden» vor. Er sei ein «lebenslang gefühlter Appenzeller», Rentner und parteilos, sagt er über sich.

Seinen Vorschlag sandte er an Kantonspolitiker, Gemeinden, Bezirke, Parteien, Medien und weitere Interessierte in beiden Kantonen. Als «Appenzeller Lösung» empfiehlt er die Wiedervereinigung beider Appenzell und die Bildung von vier Gemeinden: Hinterland, Mittelland, Vorderland plus Oberegg und Innerrhoden, den bisherigen Inneren Landesteil. Das ergäbe einen Kanton mit 71’661 Einwohnerinnen und Einwohnern – etwas kleiner als der Jura (73’584) und grösser als Nidwalden, Glarus, Obwalden und Uri.

Im Landteilungsbrief von 1597 steht (übersetzt): «obgleichwohl jetzt die Sonderung und Teilung des Landes Appenzell Regimenten und gemeinen Guts zwischen ihnen angesehen und ins Werk gerichtet wird, so soll doch dasselbe nicht immer und ewig noch länger sein und bestehen, als so lange es ihnen zu beiden Teilen gefällig ist.»

Eigenständig entwickelt

Der Ausserrhoder Ständerat Andrea Caroni sagt dazu:

«Ich denke nicht, dass eine Wiedervereinigung angezeigt ist.»
Ständerat Andrea Caroni (FDP)

Ständerat Andrea Caroni (FDP)

Bild: Peter Schneider / KEYSTONE

Und weiter: «Wir haben zwar eine gemeinsame Geschichte und auch noch heute vieles, was uns verbindet. Doch seit 1597 haben wir uns zu eigenständig entwickelt, als dass wir uns wiedervereinigen könnten, als hätte es diese 423 Jahre nie gegeben. Kaum ein Ehepaar fände nach 4,23 Jahren Scheidung wieder zusammen. Bei uns verging 100-mal mehr Zeit.»

Derselben Meinung ist der Ausserrhoder Kantonsrat Jens Weber, Trogen: «Der Ausserrhoder Regierungsrat hat in seinem Gegenvorschlag zwei ausserordentliche Schritte getan. Er hat seine Verantwortung für eine Veränderung erkannt und angenommen und hat einen konkreten Vorschlag gemacht, der historisch fundiert ist.» Sollte es gelingen, diesen Vorschlag durchzubringen, dann sei sehr, sehr viel erreicht, so Weber weiter. Das sei aber im Moment noch fraglich und hange auch vom weiteren Verlauf der Totalrevision der Ausserrhoder Verfassung ab.

Den Vorschlag von Walter Knöpfel findet Weber interessant, aber im Moment nicht realistisch.

Jens Weber, Kantonsrat Trogen (SP)

Jens Weber, Kantonsrat Trogen (SP)

Bild: PD
«Die Ausserrhoder müssen sich zuerst selber einig werden, wie sie sich aufstellen wollen. Leidensdruck ist vorhanden – nun geht es darum, wie man sich organisiert.»

Zweitens müssten der Wille und die Notwendigkeit eines Zusammengehens von beiden Seiten erkannt werden, so Weber. «Dies erkenne ich in keiner Weise – weder in dem einen noch im anderen Kanton.»

Versäumnis von 1997 «ausbügeln»

Der Friedens- und Menschenrechtsaktivist und frühere Ausserrhoder Kantonsrat Ruedi Tobler aus Walzenhausen findet Knöpfels Vorschlag «faszinierend». Er würde es erlauben, «das Versäumnis von 1997 ‹auszubügeln›, als das 400-Jahr-‹Jubiläum› der Landesteilung nicht als die Gelegenheit zu deren Aufhebung genutzt wurde». Als einziges Hindernis für die Wiedervereinigung sieht Tobler die Barrieren in allzu vielen Köpfen. «Da bräuchte es noch ein gehöriges Mass an Überzeugungsarbeit; das heisst aber auch, je früher damit begonnen wird, umso eher wird es als Lösung realistisch.» Trotzdem würde Tobler die Wiedervereinigung nicht mit dem Gegenvorschlag zur Initiative für die starken Gemeinden in Ausserrhoden kombinieren, weil er die Gemeindefusion in Ausserrhoden als jetzt machbar erachtet und sie in Kombination mit der Fusion der Kantone ziemlich weit in die Zukunft entrückt würde.

Ruedi Tobler, ehemaliger Ausserrhoder Kantonsrat

Ruedi Tobler, ehemaliger Ausserrhoder Kantonsrat

Bild: Michael Genova

Tobler geht aber noch weiter: «Und wenn schon über die jetzigen Kantonsgrenzen hinaus gedacht wird, warum nicht den Horizont erweitern und einen Kanton Säntis in Betracht ziehen – allerdings mit dem ganzen heutigen Kanton St. Gallen?»

«Politischer Selbstmord»

Hannes Friedli, Kantonsrat Heiden (SP)

Hannes Friedli, Kantonsrat Heiden (SP)

«Noch vor wenigen Jahren kam schon allein die Äusserung eines Gedankens an eine Gemeindefusion in Ausserrhoden einem politischen Selbstmord gleich», sagt der Ausserrhoder Kantonsrat Hannes Friedli aus Heiden. Umso bemerkenswerter sei der Gegenvorschlag der Regierung zur Initiative der IG Starkes Ausserrhoden, den Kanton in vier Gemeinden aufzuteilen. Friedli nimmt an, dass sich die Regierung von der sehr offenen Diskussion der Verfassungskommission bei diesem kühnen Entscheid leiten liess. Dort sei ein sehr fortschrittlicher Geist spürbar. Noch kühner sind gemäss Friedli die Gedanken von Walter Knöpfel.

Friedli ist positiv überrascht, dass Gremien und auch einzelne Personen sich von der Aufbruchstimmung durch die Totalrevision der Verfassungen in beiden Kantonen zu neuen staatspolitischen Gedanken inspirieren lassen. Auch wenn er skeptisch ist, ob einer der vorliegenden Vorschläge eine Mehrheit bei den Stimmberechtigten finden wird, findet er sie bedenkenswert und anregend für künftige Diskussionen.

Unterschiedliche Identitäten

Für den Vorstand der Innerrhoder CVP stellt sich die Frage nach einer Wiedervereinigung der beiden Appenzell nicht: «Seit der Landteilung von 1597 haben sich die Identitäten der beiden Kantone unterschiedlich entwickelt, sodass eine Kantonsfusion heute kaum mehrheitsfähig wäre», gibt der Vorstand der Partei zu bedenken. Gemäss dem Vorschlag von Walter Knöpfel wäre die neue Gemeinde Innerrhoden die bevölkerungsmässig kleinste Gemeinde im neuen Kanton. Appenzell Innerrhoden würde also auf einen grossen Teil seiner Souveränität und Autonomie verzichten. Auch die Mitsprache in Angelegenheiten des Bundes wäre im Vergleich zu heute wesentlich kleiner, findet die CVP.

Walter Knöpfel sieht in seinem Vorschlag grossen Reformbedarf bei den aktuellen Bezirks- und Gemeindestrukturen in Appenzell Innerrhoden. «Die Landsgemeinde hat in den vergangenen Jahren zweimal über Strukturreformen diskutiert und beide Vorlagen abgelehnt», sagt die CVP. Mit dem Fusionsgesetz stehe ein wichtiges Instrument für Umstrukturierungen zur Verfügung. Das dieses auch benutzt werde, zeigen die Fusionsprojekte der Bezirke Rüte und Schwende sowie der Schulgemeinden Schlatt und Haslen. Die CVP AI begrüsst es jedoch, wenn die beiden Appenzell in spezifischen Fragen eng zusammenarbeiten und Synergien nutzen, wie beispielsweise die neue Zusammenarbeit im Bereich der Strafverfolgung.

Einzige Stimme aus Innerrhoden

Trotz zahlreicher Anfragen bei Parteien, Bezirken und Exponenten in beiden Kantonen: Aus Innerrhoden hat einzig die CVP auf die Umfrage geantwortet. Ständerat Daniel Fässler sowie Nationalrat Thomas Rechsteiner wollten keine Stellung zu diesem Thema beziehen. Auch Walter Knöpfel erhielt nur sehr spärliche Reaktionen – nämlich fünf – bei 220 Adressaten. Aus Innerrhoden schrieb einzig die Ratskanzlei kurz und knapp: «Vielen Dank für Ihr Schreiben, mit welchem Sie vorschlagen, die Kantone Ausserrhoden und Innerrhoden wieder zu vereinen. Die Standeskommission hat von Ihrem Anliegen Kenntnis genommen.»

In Innerrhoden scheint der Gedanke an eine Wiedervereinigung auf noch weniger Gegenliebe zu stossen als in Ausserrhoden. Eine Erinnerung: Vor Jahren schlug Landammann Carlo Schmid im Innerrhoder Grossen Rat vor, eine staatliche Aufgabe zusammen mit Ausserrhoden zu lösen. Lauter Proteststurm im Saal: «Nein, mit St. Gallen», riefen die Ratsherren unisono. Seither hat sich nichts geändert.