Gletscher-Initiative
Das liberale Ausserrhoden setzt sich mit dem linken Genf ins Klimaschützer-Boot

Die Forderungen der Gletscher-Initiative gehen dem Bundesrat zu weit. Er hat einen Gegenvorschlag erarbeitet. Ein Kanton im Westen und einer im Osten wollen bei der harten Variante bleiben.

Karin Erni
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Dunst und Feinstaub über Zürich.

Dunst und Feinstaub über Zürich.

Gaetan Bally / KEY

Bis 2050 soll die Schweiz klimaneutral sein. Das fordert die vor einem Jahr eingereichte Volksinitiative «Für ein gesundes Klima» – auch bekannt als Gletscher-Initiative. Dem Bundesrat gingen die Forderungen zu weit. Er hat einen Gegenentwurf erarbeitet und den Kantonen zur Vernehmlassung unterbreitet.

Bis zwei Tage vor Ablauf der Frist hat sich erst das politisch eher links stehende Genf gegen den bundesrätlichen Vorschlag ausgesprochen. Etwas überraschend folgt der Regierungsrat des traditionell liberalen Appenzell Ausserrhoden dem Beispiel der Romands. Er spricht sich für die Volksinitiative aus und lehnt den Gegenvorschlag ab. Der Klimawandel sei weder eine rechte noch eine linke Angelegenheit, sondern eine Tatsache, sagt der zuständige Regierungsrat Dölf Biasotto auf Anfrage. «Im Initiativkomitee sind auch sehr bekannte bürgerliche Politiker wie zum Beispiel FDP-Ständerat Ruedi Noser. Es braucht nun seitens der Politik ein klares Bekenntnis zum Pariser Klimaabkommen und zu einem ehrgeizigen CO2-Absenkpfad.»

Dölf Biasotto, Regierungsrat AR.

Dölf Biasotto, Regierungsrat AR.

Bild: Gian Ehrenzeller / KEYSTONE

Unterschiede der beiden Vorlagen beleuchtet

Initiative und Gegenvorschlag unterscheiden sich in folgenden Punkten: Die «Gletscher-Initiative» verlangt, dass die Schweiz ab 2050 nicht mehr Treibhausgase ausstossen soll, als natürliche und technische Speicher aufnehmen können (Netto-Null-Ziel). Auch sollen ab diesem Zeitpunkt in der Schweiz grundsätzlich keine fossilen Brenn- und Treibstoffe wie Erdöl oder Benzin mehr in Verkehr gebracht werden dürfen. Ausnahmen sind lediglich bei Anwendungen möglich, für die es keine technischen Alternativen gibt.

Das Netto-Null-Ziel befürwortet der Bundesrat ebenfalls. Er hat dies bereits im Sommer 2019 festgelegt. Der Initiativtext geht der Bundesregierung allerdings punktuell zu weit. Mit dem Gegenentwurf will sie unter anderem der speziellen Situation der Berg- und Voralpenregionen Rechnung tragen. Diese Gebiete sind in der Regel durch den öffentlichen Verkehr weniger gut erschlossen und haben auch ungünstigere Voraussetzungen für Energieversorgungssysteme wie zum Beispiel Fernwärme. Dem entgegnet Biasotto:

«Gerade die Berg- und Voralpenregionen sind oftmals vom Klimawandel am stärksten betroffen. Im Umkehrschluss profitieren sie am meisten, wenn es gelingt, den Klimawandel zu begrenzen.»

Die Gletscher-Initiative verlange, dass die Klimapolitik sozialverträglich auszugestalten sei, so Biasotto weiter. «Es wird die Aufgabe des Parlaments sein, in der konkreten Umsetzung die Rahmenbedingungen der Berg- und Voralpengebiete geeignet zu berücksichtigen.»

Technologieschub erwartet

Gemäss Bundesrat sollen Armee, Polizei oder Rettungsdienste für Schutz- und Rettungseinsätze auch nach 2050 bei Bedarf auf fossile Treibstoffe zurückgreifen können. Ziel müsse sein, Netto-Null zu erreichen, sagt Biasotto. «Auch bei Armee, Polizei oder Rettungsdienst sagt sogar der Gegenvorschlag, dass nur «bei Bedarf» darauf zurückgegriffen werden soll. Dies wird dann eine Frage der Formulierung der Gesetzestexte werden, welche Ausnahmen unter welchen Umständen erlaubt sein werden.»

Auch die Möglichkeit von Kompensationen von CO2-Emissionen im Ausland bleiben offen. Letzteres stört die Ausserrhoder Regierung:

«Wenn wir uns die Aufgabe jetzt leicht machen, indem wir Reduktionen im Ausland erwerben, statt selbst zu handeln, wird es später umso schwieriger.»

Die Schweiz würde so Strukturerhalt betreiben und die Verantwortung auf die kommende Generation abschieben. In der technologischen Transformation sieht Biasotto vor allem eine Chance für die Schweizer Wirtschaft: «Technik entwickelt sich immer unter gewissen politischen Rahmenbedingungen. Oft hindern bestehende Strukturen und Preisgefüge neue Techniken am Durchbruch.» Der Technologiewandel weg von den fossilen Energien werde auf Jahrzehnte hinaus das aktivste und interessanteste Forschungsfeld sein, so Biasotto weiter. «Der Kanton Appenzell Ausserrhoden hat zwar selber keine eigenen Forschungsanstalten, aber technisch hochqualifizierte Unternehmungen, welche Beiträge an neue Entwicklungen im Energiebereich leisten werden.»

Geld soll vermehrt in der Schweiz bleiben

Der Umbau zu einer klimaverträglichen Wirtschaft ist nicht gratis zu haben. Dem pflichtet Dölf Biasotto bei. «Das wird uns Geld kosten. Der Aufgaben- und Finanzplan des Kantons sieht eine Erhöhung der kantonalen Mittel für den Klimaschutz von 500’000 Franken auf eine Million Franken bis 2023 vor.» Zusammen mit den zu erwartenden Bundesmitteln würde damit rund 75 Prozent mehr Geld für den Klimaschutz zur Verfügung stehen. «Die Wertschöpfung wird aber zum grossen Teil in der Schweiz bleiben und schafft hier Arbeitsplätze. Auch für Appenzell Ausserrhoden werden sich daraus wirtschaftliche Chancen ergeben. Zudem verbleiben zukünftig ein Hauptteil der Milliarden, die wir jährlich an die Erdölländer bezahlen, in der Schweiz.»