Am kommenden Freitag erlebt der nationale Frauenstreiktag von 1991 sein Revival. Drei Mitglieder des Ausserrhoder Komitees erklären, warum es einen zweiten Protest zwingend braucht.
Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit und Schluss mit sexueller Belästigung und Diskriminierung – diese Forderungen tragen am nationalen Frauenstreiktag vom kommenden Freitag Tausende Teilnehmerinnen auf die Strasse. Demonstriert wird aber nicht nur in den städtischen Zentren. Auch auf dem Trogener Landsgemeindeplatz kommt es am Freitagnachmittag zu einer Kundgebung, bevor die Überfahrt zur Frauendemo in St. Gallen erfolgt. Organisiert wurde die Kundgebung vom Komitee Frauenstreik AR, dem aktuell zwölf Frauen aus dem Vorder- und Mittelland angehören.
«Ziel ist es, mindestens 100 Frauen in Trogen zusammenzubringen», sagt Annegret Wigger. Die SP-Kantonsrätin ist Teil des Komitees und setzt sich seit Jahren für die Rechte von Frauen ein. Schon am Streik von 1991, an dem schweizweit über eine halbe Million Frauen teilnahmen, hat sie sich beteiligt.
«Wir haben seither schon viel erreicht», sagt Wigger und verweist auf Errungenschaften wie das seit 1996 in der Bundesverfassung verankerte Gleichstellungsgesetz, die schweizweite Etablierung von Frauenhäusern und Frauenzentralen sowie den aktuell – zumal in Ausserrhoden – vergleichsweise hohen Frauenanteil im Kantonsparlament.
Dennoch brauche es einen zweiten nationalen Frauenstreik. «Der Schwung aus den 90er-Jahren ist abgeflacht.
Es scheint, als ob mit dem Erreichen bestimmter Rahmenbedingungen das Bedürfnis verschwunden sei, sich kollektiv zu wehren.»
Letzteres hält Wigger für wichtig. «Denn politische Fortschritte sind nur durch starke Bewegungen möglich.» Dies zeige aktuell die Klimastreikbewegung.
Es sei nötig, dem Anliegen der Frauen öffentlich eine Stimme zu geben, zumal sich der Staat nicht an die gesetzlichen Vorgaben halte. Der SP-Kantonsrätin sind dabei nicht nur die ungleichen Löhne ein Dorn im Auge, sondern auch die Gewalt an Frauen:
«Laut einer Studie von Amnesty International wird jede zweite Frau in der Schweiz sexuell belästigt. Zudem werden Frauen häufiger als Männer Opfer von häuslicher Gewalt.»
Weitere Punkte, wogegen es sich – gerade auch im Kanton Appenzell Ausserrhoden – anzukämpfen lohne, sind nach Wigger das mangelhafte Kinderbetreuungsangebot für Familien wie auch die Untervertretung von Frauen in Gemeindepräsidien, Kommissionspräsidien sowie im Regierungsrat.
Auch Lucie Waser und Katharina Kobler-Kunzmann, ebenso Mitglieder des Komitees, sind der Meinung, dass es zwingend einen zweiten Frauenstreik brauche. Beide sind in der Ausserrhoder Frauenzentrale aktiv. Waser arbeitet zudem als Gleichstellungsbeauftragte bei der Gewerkschaft des Schweizer Verkehrspersonals (SEV). «Es machte den Eindruck, als ob die Frauenstreikbewegung nach ihrer Blütezeit totgeschwiegen wurde», sagt sie. Die Anliegen der Frauen seien nicht mehr ernstgenommen worden, was viele Frauen erzürnt habe.
«Nun ist es an der Zeit, ein nächstes Level zu schalten.»
Als Erstes fordert Waser, dass Frauen und Männer den gleichen Wert bekommen für die gleiche Arbeit. Sie verweist dabei auf drei kürzlich unter dem Titel «Makroskandal – Betrug an Frauen» von der Organisation Feministische Fakultät herausgegebene Zahlen.
Gemäss diesen Berechnungen würden Frauen in der Schweiz erstens 100 Milliarden Franken pro Jahr weniger verdienen als Männer, die genau dieselbe Arbeit machen würden. Die zweite Zahl bezieht sich auf den monetären Wert der unbezahlten Arbeit, welche Frauen pro Jahr leisten. Dieser beträgt gemäss Organisation 248 Milliarden Franken –«das sind mehr als die totalen Staatsausgaben von Bund, Gemeinden und Kantonen zusammen.» Drittens würden Frauen rund eine Milliarde Stunden pro Jahr alleine mit Kinderbetreuung verbringen.
Gerade im Bereich der Sorgearbeit, die für jeden Menschen Existenzgrundlage sei, herrsche eine grosse Ungleichheit, ergänzt Wigger. Die unbezahlte Arbeit werde meist als «Frauenarbeit» abgewertet. Hinzu komme, dass Frauen, die Care-Arbeit leisten, meist dazu gezwungen werden, in Teilzeitpensen zu arbeiten, wodurch sie weniger Chancen auf berufliche Karrieren hätten. Wigger, Kobler und Waser möchten mit dem Frauenstreik zeigen, «wie wichtig die Arbeit von uns Frauen ist, indem wir sie für einmal nicht tun.»
Auch wenn die Frauenstreikbewegung schon einiges bewirken konnte: «Am Ziel sind wir noch lange nicht», so Kobler. Sie vergleicht die Bewegung mit dem Berliner Mauerfall. «Dieser hat gezeigt, dass gebaute Mauern wieder abgerissen werden können.» Auch wenn es lange dauert, die psychologischen «Vorurteilsmauern» abzubauen, die in den Köpfen der Menschen weiterexistieren.
Das sei beim Thema Gleichstellung nicht anders. Gesetzlich sei der Weg bereits geebnet, doch der Gleichstellungsprozess erfordere ein Umdenken in der Gesellschaft, ein Ändern der Rollenbilder. «Das geht nicht von heute auf morgen.»