Fastenzeit
Zwischen göttlicher Selbsterkenntnis und Notprogramm: Zwiespältige Bilanz des Fastens

Während der Fastenzeit verzichten die Praktizierenden auf Nahrung, teilweise auf jegliche Flüssigkeit. Im Gespräch mit zwei Praktizierenden und einer Ärztin werden Vor- und Nachteile betrachtet.

Elina Zingg
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Eine Variante des Fastens ist, sich nur von Tee und Wasser zu ernähren.

Eine Variante des Fastens ist, sich nur von Tee und Wasser zu ernähren.

Bild: PD

Fasten wird in zahlreichen Religionen praktiziert, vermehrt wird es auch im nicht religiösen Zusammenhang genutzt. Beispielsweise um auf Alkohol oder Süssigkeiten zu verzichten oder eine Kur durchzuführen. Ein Beweggrund dabei ist meist die Gesundheit. Denn Fasten gilt als reinigend für den Körper. Es gibt aber durchaus kritische Stimmen, welche infrage stellen, in welchem Mass Fasten gesund ist. Um der Sache auf den Grund zu gehen, waren wir im Gespräch mit einer Ärztin sowie zwei Frauen, die selbst fasten.

Den Körper reinigen

Für Monika Risse, Psychomotorik-Therapeutin aus Teufen, ist Fasten eine Chance: «Es ist die Möglichkeit, mit mehr Lebendigkeit und Wachheit das Leben bewusster zu gestalten.» Man werde empfänglicher und sensibler für die Dinge um uns herum, aber auch für die Dinge, die uns übersteigen. Bereits sechsmal hat Risse gefastet, primär ging es ihr dabei um die Reinigung und Entlastung ihres Körpers. Doch auch zentrale Lebensfragen stehen für sie damit in Verbindung. Risse sagt: «Diese Zeit eröffnet Gelegenheit für Fragen wie: Wie möchte ich mein Leben gestalten? Muss ich eine Richtungsänderung einschlagen?»

Fasten nimmt auch für Barbara Gahler, Religionspädagogin und Seelsorgerin der Katholischen Kirche Teufen, eine wichtige Rolle ein: «Für mich ist Essen oft eine Ersatzhandlung, um ungeliebte Gefühle oder Dinge zu verdrängen. Beim Fasten lege ich diese Ersatzhandlungen aus der Hand.» Viele dieser Ersatzhandlungen würden sie taub und stumpf machen, doch durch das Fasten erkenne sie, was sie wirklich braucht, wer sie ist und sein will. Ihre Grundstimmung verbessere sich, da der Körper nach dem dritten Fastentag Glückshormone ausschütte.

Die Katholische Kirche Teufen bot 1990 die erste Fastenwoche an, seit sechs Jahren hat Gahler die Hauptleitung: «Während sechs Fastentagen treffen wir uns jeden Abend zu einem kleinen Spaziergang, Austausch und Meditation.» Die Altersgruppen seien bunt durchmischt, von der jüngsten Person mit 32 bis zur ältesten Dame mit 80 Jahren sei alles dabei.

Gott und sich selbst nahe sein

«Einerseits fühle ich mich während des Fastens frei und habe ein bisschen ein Gefühl von Überlegenheit. Doch merke ich auch, wie ich von anderen Menschen, Wasser, Luft und von Pflanzen und Tieren abhängig bin. Diese Erkenntnis bringt mich näher zu Gott und macht mich dankbar», sagt Gahler. Es seien von vielen Religionsstiftern wie Jesus, Mohammed oder Buddha intensive Fastenerfahrungen überliefert worden.

Gahler erzählt: «Von Mohammed stammen die Worte ‹Beten führt zu halbem Wege zu Gott, Fasten bringt uns an die Tür des Himmels.›» Sie persönlich frage sich oft, ob wohl das Fasten oder die Religionen zuerst da waren. «Für mich ist Fasten ein heiliger Weg zur Selbsterkenntnis und zum Göttlichen», sagt Gahler.

Fasten und Fastenbrechen

Es gibt zahlreiche Varianten des Fastens. Viele fasten, um auf für den Körper schädliche Substanzen wie beispielsweise Alkohol zu verzichten. Risse ernährte sich dabei in vier von sechs Fastenzeiten nur von Wasser und Tee. «Die ersten drei Tage sind manchmal eine Herausforderung, weil der Körper nach Essen ruft. Da gilt es, durchzuhalten und zum Beispiel einen Spaziergang in der Natur zu machen», erzählt sie von ihren Erfahrungen.

Nach dieser Umstellung habe sie die Zeit positiv erlebt: «Es entstand viel frei werdende Energie, körperlich sowie auch geistig. Ich fühlte mich lebendiger und inspirierter.»

Genauso wichtig wie die Fastenzeit an sich sei nach Gahler die Zeit danach: «Nun zeigt sich, ob man lediglich eine Nulldiät gemacht hat oder bislang Unbekanntes über sich selbst erfahren hat. Im Idealfall sollte eine neue Zeit des Lebens beginnen.»

Risse findet, dass das Beenden des Fastens sorgfältig aufbauend passieren muss. «Einmal habe ich das Fasten mit einem Pack Magenbrot beendet. Danach brauchte ich etwa einen Monat, um mein ansonsten gesundes Essverhalten wieder einzupendeln», erzählt Risse.

Nur gesunde Personen sollten fasten

Alexandra Kotthaus, Leitende Ärztin im Gesundheitszentrum Biomed Center in Sonnenberg in Schwellbrunn, habe den Draht zum Fasten nie gefunden: «Ich habe eine Zeit lang in einer begleitenden Klinik gearbeitet, in welcher Fasten angeboten wurde. Dort habe ich auch die Nachteile gesehen.» Für sie sei klar, dass nur Personen, welche physisch und psychisch gesund sind, fasten sollten. «Menschen, die schlechte Entgifter sind, geht es während des Fastens schlechter.»

Dazu hätten viele Personen aufgrund ihrer alltäglichen Ernährung sowieso bereits einen Nährstoffmangel: «In diesem Fall fährt der Körper schon in einem Notprogramm. Da braucht es das Fasten nicht zusätzlich.» Die Leber wolle den Glukosespiegel im Körper aufrechterhalten. Kotthaus erklärt: «Nimmt man das nicht durch Nahrung auf, werden Reserven abgebaut. Und irgendwann auch wichtige Eiweisse, die der Körper nicht selbst herstellt.»

Doch könne Fasten durchaus zu einem «High» führen, was sich gut anfühlen könne. «Jemand, der wirklich gesund ist, kann so einen Schub nach vorne bekommen», meint Kotthaus.