FASNACHTSBRAUCH
Geschlechterparität wieder hergestellt: Alessia Blumer ist die 15. Waldstätter Gidio-Pfarrerin

Um das Jahr 1910 wurde in der Waldstatt erstmals ein Gidio-Umzug als Kinderfasnacht durchgeführt. 1995 amtete mit Gaby Keller erstmals ein Mädchen als Pfarrerin und damit als Chefin des Anlasses. Diese Ehre fällt heuer der Kantonsschülerin Alessia Blumer zu.

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Alessia Blumer aus Waldstatt ist neue Gidio-Pfarrerin.

Alessia Blumer aus Waldstatt ist neue Gidio-Pfarrerin.

Bild: PD

Es ist eine besondere Aufgabe, welche alljährlich in der Waldstatt vergeben wird: Jeweils am Aschermittwoch, nachdem der Lebenslauf als «Predigt nach dem Trauerumzug» des verstorbenen Mitbürgers «Gidio Hosestoss» verlesen ist, gibt die amtierende Gidio-Pfarrperson jeweils bekannt, wer die Nachfolge antreten soll. Bis und mit 1994 übten stets Burschen im letzten Pflichtschuljahr das Ehrenamt aus, das mit viel Arbeit verbunden ist. Damals aber vertraute Roland Bischofberger erstmals einem Mädchen die Aufgabe an: Gabi Keller wurde so zur ersten Waldstätter Gidio-Pfarrerin.

Unbewusst paritätisch gewählt

Ab 1995, als Keller den Umzug zu verantworten hatte, wechselten sich junge Frauen und Burschen als Pfarrpersonen zu gleichen Teilen ab, obwohl es von 2007 (Eveline Koller) bis und mit 2015 (Najla Miguel Sessa) eine Phase gab, in der ausschliesslich Schülerinnen das Amt bekleideten. Es folgten wieder sieben Jahre mit Burschen, wobei Gian Mattïa Gantenbein am Aschermittwoch 2022 die Gidio-Verantwortung an seine Schulkollegin Alessia Blumer weitergab – und damit unbewusst für Parität sorgte.

Blumer wurde damit einerseits zur 15. Waldstätter Gidio-Pfarrerin. Andererseits ist sie die erste Jugendliche, die das Amt – entgegen der bislang gelebten Tradition – nicht im zweitletzten, sondern im letzten Pflichtschuljahr übernahm. Damit wollte ihr Vorgänger künftigen Organisatorinnen und Organisatoren der Waldstätter Kinderfasnacht die bisher existierende Doppelbelastung von anstehender Berufswahl oder Kantonsschulvorbereitung und der nicht zu unterschätzenden Verantwortung für den Grossanlass ersparen. Gantenbeins Entscheid wurde auch vom Vorstand des vor einem Jahr neu gegründeten Vereins Gidio-Freunde Waldstatt mitgetragen.

Funktionierender Informationsfluss

In den Gidio-Hosestoss-Lebenslauf werden primär Episoden aus dem Schulalltag und der Gemeinde aufgenommen, welche sich während der zurückliegenden zwölf Monate ereigneten. Alessia Blumer hatte Respekt davor, dass ihr dies gelingt, denn seit letztem August besucht sie die Kantonsschule in Trogen – und ist damit weniger nahe am Geschehen in ihrer Wohngemeinde. Im neusten «De Waldstätter», dem zweimonatlich erscheinenden Informationsblatt der Gemeinde, äusserte sie sich dazu wie folgt: «Schnell habe ich aber gemerkt, dass ich das auch schaffe, ohne in Waldstatt zur Schule zu gehen. Viele meiner ‹Gschpändli›, Verwandten und Bekannten haben mir zugesichert, mich in meinem Amt zu unterstützen.» Sie habe rasch realisiert, dass trotz auswärtigen Schulbesuchs der Informationsfluss funktionierte. Zudem war es für Blumer eine grosse Hilfe, dass sie bei Bedarf auch auf die Unterstützung von Präsident Stefan Roth und den übrigen Mitgliedern der Gidio-Freunde Waldstatt zählen konnte.

Vielfältige Aufgaben der Pfarrerin

Für den 11. November letzten Jahres bot Alessia Blumer erstmals ihre Waldstätter Klassenkameradinnen und -kameraden zu einem Info-Treffen auf. Damals gab sie zum Beispiel bekannt, dass sie Levi Rüegg als Chef der «Gidio-Polizisten», Sophia Zeller zur Chefin der «Gidio-Predigt-Verkäuferinnen», Philipp Müller zum «Funken-Chef» und Tamara Roth zur Verantwortlichen des Leichenwagen-Baus ausgewählt hatte. Als trauernde «Gidio-Witwe» Eulalia Fadehäx wird Noemi Meier am Umzug teilnehmen.

Zudem hatte die am 22. Juni 2007 geborene Waldstätterin vor dem Alten Silvester nicht nur die Christbaum-Einsammlung auf dem Gemeindegebiet zu organisieren, bei der sie auf Unterstützung ihrer Eltern und weiterer Erwachsenen zählen konnte. Auch die Gestaltung der Gidio-Traueranzeige stand ebenso auf ihrem Pflichtenheft wie der Aufruf an Schulkinder zum Bau von Themenwagen. Schliesslich hatte sie Läden und Firmen für essbare Naturalgaben oder Sponsorenbeiträge anzufragen.

Als Hauptaufgabe durfte Alessia Blumer auch den Lebenslauf von Gidio Hosestoss schreiben. Und zu guter Letzt musste sie sich auch noch Gedanken über ihre Nachfolge machen. Wer die über 100-jährige Tradition in Waldstatt weiterführt, behält sie aber – so wie es die Tradition will – bis nach dem Verlesen der Abdankungsrede am bevorstehenden Aschermittwoch als streng gehütetes Geheimnis für sich.