EBNAT-KAPPEL: Alt werden, aber nicht alt sein

Fast 40 Prozent der Wohnbevölkerung im Toggenburg ist 50 Jahre oder älter. Gerontologen wie Agnes Heiniger-Gmür befassen sich mit diesem Abschnitt des Lebens. Ein Gespräch über das Altwerden.

Martina Signer
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Sie begleitet und berät ältere Menschen sowie deren Angehörige bei Fragen und Problemen rund ums Altwerden: Gerontologin Agnes Heiniger-Gmür. (Bild: Martina Signer)

Sie begleitet und berät ältere Menschen sowie deren Angehörige bei Fragen und Problemen rund ums Altwerden: Gerontologin Agnes Heiniger-Gmür. (Bild: Martina Signer)

Alt. Allein das Wort hat einen negativen Beigeschmack. Niemand spricht gerne über das Alter, man verdrängt, dass man älter wird, man will sich nicht damit auseinandersetzen, dass mit dem Altern immer mehr Autonomie verloren geht.

Wohl kaum ein anderes Thema beschäftigt die Gesellschaft so sehr wie das Älterwerden. ­ Die demografische Entwicklung spricht für sich. Menschen werden immer älter, wollen aber nicht alt sein, sich alt fühlen und als alt abgestempelt werden. Viele bringen das Altern in Verbindung mit Gebrechlichkeit, Einsamkeit und Krankheit. «Es gibt aber auch Menschen, die das Altwerden souverän meistern und es akzeptieren», sagt Gerontologin Agnes Heiniger-Gmür aus Ebnat-Kappel.

«Auch ich habe Respekt vor dem Älterwerden»

Die Gerontologin befasst sich mit ihren 53 Jahren gerade damit, wie lange sie noch mit ihrem Mann in ihrer Wohnung leben kann, die über keinen Lift verfügt. Mit etwas über 50 Jahren beschäftigt sie sich also schon früh mit Altersfragen. Doch sie gibt zu: «Auch mir behagt der Gedanke nicht, noch einmal woanders Wurzeln zu schlagen.» Das ist ein Thema, bei welchem sie ältere Leute ganz oft berät. Und auch deren Angehörige, die oft nicht weiter wissen, wenn sich ein ­Elternteil schwer damit tut, ins Altersheim zu ziehen oder betreutes Wohnen in Anspruch zu nehmen. «Der Verlust der Autonomie, was in diesem Fall bedeutet, nicht mehr selbstbestimmt ­leben zu können, ist das zentrale Problem beim Altwerden», weiss die Expertin, die ursprünglich Pflegefachfrau HF gelernt und bald festgestellt hat, dass ihre ­Berufung in der Betreuung älterer Menschen liegt. Das Geron­tologiestudium war also nahe­liegend für die Ebnat-Kapplerin, die hauptberuflich bei der Pro ­Senectute Wil und Toggenburg arbeitet. Autonomieverlust fängt nicht etwa erst mit dem Eintritt ­ in ein Altersheim an. Schon ­kleine Dinge wie Sehhilfen oder Handläufe machen bewusst, ­ dass man älter wird. Und dadurch wird man auch ständig an die eigenen Defizite erinnert.«Ältere Menschen gehen sehr oft bewusst Risiken ein, wenn sie ­ dafür ihr selbstbestimmtes Leben erhalten können.» Sie wollen ­ungern Notrufsysteme auf sich tragen, das Autofahren aufgeben, jemandem zur Last fallen und verzichten lieber auf andere ­technische Hilfsmittel wie Handy oder Computer, statt es als Hilfe anzusehen. «Ich muss aber immer wieder betonen, dass es auch das Gegenteil gibt. Ich kenne ganz viele ältere Menschen, die sehr wohl mit den Veränderungen, die das Altwerden mit sich bringt, umgehen können.» Sie nutzen moderne Hilfsmittel wie Tablets, Laptops oder Mobiltelefone, gehen auf Reisen, machen Ausflüge und sogar Sport und sie treffen regelmässig Freunde.»

Etwas sein dürfen, ohne etwas werden zu müssen

Das Wichtigste ist, wie Agnes Heiniger-Gmür sagt, dass man auch im Alter noch eine Aufgabe hat. Beispiele sind, so lange wie es die Gesundheit zulässt, für sich selber zu kochen, sich um ein Haustier zu kümmern oder regelmässig die Wäsche selber zu ­machen.

Laut Agnes Heiniger-Gmür gibt es aber lange nicht nur negative Aspekte, die mit dem Älterwerden einhergehen. «Ältere Menschen haben so viel Lebenserfahrung, die zu teilen es sich lohnt.» Das merkt Agnes Heiniger-Gmür sowohl in ihrer nebenberuflichen Tätigkeit als Gerontologin als auch bei ihrer Arbeit für die Pro Senectue Wil Toggenburg. Ihr ist es ein Anliegen, älteren Menschen auf einem Teil ihres Lebenswegs beratend zur Seite zu stehen. Dass das Altern auch gute Seiten haben kann, hielt Ernst Reinhart, Schweizer Publizist, gestorben 1923, fest: «Das Schöne am Alter ist, etwas sein zu dürfen, ohne etwas werden zu müssen.»