Die Welt wird frisch gestrichen

Stellen Sie sich vor, wir hätten keine Jahreszeiten… Es wäre immer gleich lau, gleich grün, die Sonne würde immer scheinen, und die Luft röche jahraus, jahrein nach Frühlingserwachen. Das wäre langweilig, nicht wahr? Wir könnten nicht mehr staunen.

Heidi Eisenhut
Drucken
Bild: Heidi Eisenhut

Bild: Heidi Eisenhut

Stellen Sie sich vor, wir hätten keine Jahreszeiten… Es wäre immer gleich lau, gleich grün, die Sonne würde immer scheinen, und die Luft röche jahraus, jahrein nach Frühlingserwachen. Das wäre langweilig, nicht wahr? Wir könnten nicht mehr staunen. Und uns nicht erfreuen an dem, was lang erwartet endlich ausbricht, aufbricht, sich entfaltet. «Die Bäume räkeln sich», schreibt Erich Kästner. «Das Blau und Grün und Rot war ganz verblichen. Der Lenz ist da! Die Welt wird frisch gestrichen!» «Nun brauchen alle Hunde eine Braut.» Und Pony Hütchen sagte mir, sie fände: Die Sonne habe kleine, warme Hände und krabble ihr mit diesen auf der Haut. Ein schönes Bild! Auf der Haut ein Krabbeln, im Bauch ein Kribbeln. «Die Menschen lächeln, bis sie sich verstehen.»

Der Frühling ist wie keine andere Jahreszeit Anfang, Auftakt, Aufbruch. Altes bleibt zurück, Neues wird möglich – anderes unter veränderten Umständen. Das Zerbrechen der Eierschale von innen heraus. Lebenskraft. Ein unbändiger Wille zu sein und zu werden. Fruchtbarkeit. Auferstehung im Zeichen des aufsteigenden Lichts. Der Wortschatz des Frühlings strahlt in den hellsten Farben, er ist voller Hoffnung, Liebe, Zuversicht und Glück. Gerade weil wir das andere auch kennen, gerade weil dieser Tage stärker als auch schon Angst, Leid und Not uns beschäftigen und Hoffnung, Liebe, Zuversicht und Glück bedrängen, gerade deshalb mögen wir den Frühling mit Freude begrüssen, ihn feiern, ihn leben, sein Ja uns aneignen: «Die Menschen lächeln, bis sie sich verstehen.»