Die Familienschule

«Seine eigenen Kinder selbst zu Hause zu unterrichten, löst in der Gesellschaft immer noch emotionale Reaktionen aus. Einige finden es toll, eine grosse Gruppe schluckt leer und schweigt, und ein beachtlicher Rest grüsst nicht mehr auf der Strasse.

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«Seine eigenen Kinder selbst zu Hause zu unterrichten, löst in der Gesellschaft immer noch emotionale Reaktionen aus. Einige finden es toll, eine grosse Gruppe schluckt leer und schweigt, und ein beachtlicher Rest grüsst nicht mehr auf der Strasse. Das Misstrauen, dass die Schule zu Hause dazu dient, die Kinder zu isolieren oder ihnen gar extreme Werte zu indoktrinieren, scheint verbreitet zu sein. Dabei ist eine Generalisierung von «Homeschooling» gar nicht möglich. Es gibt wohl so viele verschiedene Konzepte wie Familien.

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Unsere drei Kinder zu Hause zu unterrichten, war kein Entscheid gegen die öffentliche Schule oder deren Lehrpersonen – im Gegenteil. Es war ein Versuch, unserer Familienkonstellation gerecht zu werden. Als der jüngste Sohn in den Kindergarten kam, nutzten wir die Möglichkeit, die mittlere Tochter, die sich in der öffentlichen Schule nicht wohl fühlte, zu Hause zu unterrichten. Es war ein Ausprobieren, ein Projekt. Es gelang, und wir entschlossen uns, auch die anderen beiden Kinder zu Hause zu schulen. Das ist nun mehr als sechs Jahre her.

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Lehrplan, Lernziele, Schulbücher, Lehrerkommentare, Arbeitsblätter, Fünftagewoche. Inhaltlich unterscheidet sich der Unterricht zu Hause nicht wesentlich von der öffentlichen Schule. Die Form des Unterrichts ist jedoch anders; altersdurchmischt und individualisiert. Jedes Kind hat seinen eigenen Rhythmus und einen persönlichen Jahres- und Wochenplan. Einen Stundenplan oder ein Schulzimmer gibt es keines. Jedes Kind lernt selbständig; so wie es sich wohl fühlt. Die Kinder schätzen ihre Freiheit, die Arbeit selbst einteilen zu können. Ich sehe mich als Coach, der erklärt und bei Bedarf hilft.

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Isoliert sind unsere Kinder nicht. Damit sie auch ausserhalb der Familie soziale Kompetenzen erwerben, gehen sie in einen Turnverein oder Schwimmclub und treffen in ihrer Freizeit Freunde.

Vor Leistungsdruck und gestellten Anforderungen können auch wir die Kinder nicht bewahren. Durch das Homeschooling haben wir aber die Chance, den Druck ein wenig anzupassen – sei es durch die individuelle Betreuung oder die geeignete Unterrichtsform. Drei Mal im Jahr lädt das «Amt für Volksschule und Sport» ein, um die Schulleistungen zu kontrollieren.

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Ich bin keine ausgebildete Lehrerin, doch bildungsinteressiert. Das Unterrichten meiner Kinder ist eine Herausforderung und macht Spass. Ich bin der Überzeugung, dass man Erziehung nicht delegieren kann. Ich muss als Mutter wissen, wie mein Kind lernt, damit ich es unterstützen kann. Als Eltern sind wir dafür verantwortlich, was unseren Kindern auf ihren Weg mitgegeben wird. In- dem ich sie selbst zu Hause unterrichte, nehme ich diese Verantwortung wahr, kann die Neugier und die Freude am Lernen direkt weitergeben. Es gibt Eltern, die nach der Schule zu Hause mit ihren Kindern stundenlang weiterarbeiten. Und es gibt Jugendliche, die nach der obligatorischen Schulzeit kaum lesen und schreiben können. Seine Kinder selbst zu unterrichten, ist eine Option. Ein Garant für gute Schulleistungen ist jedoch weder die öffentliche Schule noch der Unterricht zu Hause.

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Mit dem «Homeschooling» haben wir wohl das gleiche Ziel und den gleichen Wunsch wie alle Eltern: «Dass unsere Kinder gerne in die Schule gehen, sich fürs Lernen begeistern, eine Ausbildung machen und ihr Leben auf ihre Art und Weise erfolgreich meistern.»

Regula Bott,

47 Jahre, Herisau

Notiert: Christa Wüthrich