Früher ein Stück Heimat, heute immer seltener: Sein schlechter Ruf eilt dem Appenzeller Sennenhund voraus

Ein Bauernhof ohne Bläss – unvorstellbar? Diese Zeiten sind vorbei. Der Bestand der Appenzeller Sennenhunde hat in den vergangenen Jahren abgenommen. Nicht zuletzt, weil man dem Vierbeiner Aggressivität und Ungehorsam vorwirft.

Alessia Pagani
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Jakob Müller auf dem heimischen Hof in Stein mit Kuno v. Tüfibach sowie Omira v. Appenzeller Stein. Frau Ursula liebkost Kira v. Bockengut und Isabella v. Bockengut. (Bild: Alessia Pagani)

Jakob Müller auf dem heimischen Hof in Stein mit Kuno v. Tüfibach sowie Omira v. Appenzeller Stein. Frau Ursula liebkost Kira v. Bockengut und Isabella v. Bockengut. (Bild: Alessia Pagani)

Sie gehörten einst in das Bild des Appenzellerlandes wie das Amen in die Kirche. Auf beinahe jedem Bauernhof «schwänzelte» ein Bläss umher. Mit ihren braunen Kulleraugen, den weissen Pfötchen und dem Ringelschwänzchen dürfen sie auf keinem Sennenstreifen fehlen und gehören zur hiesigen Tradition. In den vergangenen Jahren hat sich die Situation um deren Bestände allerdings verschlechtert. Die Anzahl nahm kontinuierlich ab, die Rasse galt zwischenzeitlich als bedroht. Mittlerweile hat sich der Bestand stabilisiert. 593 Hunde mit Bläss-Abstammung sind in Ausserrhoden registriert. Den Blick auf die gesamte Schweiz gerichtet, wird die enge Zuchtbasis deutlich: Auf der Website des Schweizer Clubs für Appenzeller Sennenhunde sind 17 aktive Schweizer Züchter vermerkt, lediglich vier stammen aus dem Appenzellerland. Wurden 2006 schweizweit noch 127 reinrassige Bläss-Welpen verkauft, waren es 2015 gerade mal 62, im Jahr 2017 wurden 82 Welpen geboren. Diese stammten aus elf Würfen.

Genügsam und doch fordernd

Eine Hand voll dieser Welpen kommt vom Hof von Jakob und Ursula Müller aus Stein. Seit über 18 Jahren züchten die beiden Appenzeller Sennenhunde. Zuerst einmal müssen die Müllers mit einem Irrglauben aufräumen: «Auch wenn viele es anders behaupten: Ein Bläss und ein Appenzeller Sennenhund sind in dieser Region das Gleiche», sagt Jakob Müller. Bläss werde einfach in anderen Landesteilen nicht gerne gehört. Zudem verbinden mit Bläss viele Menschen einen Mischlingshund und keinen reinrassigen – auch dies sei ein Trugschluss. «Der Bläss hatte lange Zeit einen schlechten Ruf», so Jakob Müller. «Dabei sind es super Hunde.» Müller ist in der Zuchtkommission des Schweizer Clubs für Appenzeller Sennenhunde und weiss genau über deren Wesenszüge Bescheid. «Ein Bläss ist sehr genügsam. Und trotzdem will er gefordert werden und fordert auch den Halter», so Jakob Müller. Appenzeller Sennenhunde sind lernfreudig und fühlen sich wohl, wenn sie ausreichend Beschäftigung erhalten. Früher seien sie oft einfach «da gewesen» und seien als Hofhunde weder beachtet noch sei mit ihnen gezielt trainiert worden. «Der Appenzeller Sennenhund braucht eine Bezugsperson. Jemanden, an dem er sich orientieren kann», sagt Jakob Müller. Einer seiner Hunde begleite ihn ständig, wenn er privat oder beruflich in der Natur unterwegs sei.

«Wachen und Hüten liegen in ihrem Naturell»

Wie jene der Müllers sind alle Appenzeller Sennenhunde ursprünglich Hüte- und Wachhunde. «Viele Menschen wollen das nicht mehr, aber das liegt in ihrem Naturell», so Jakob Müller. Das Zauberwort heisse Erziehung. «Hunde sind einfach zu verstehen: So wie der hinter der Leine tickt, so tickt auch der vor der Leine.» Oft werde dem Bläss irrtümlicherweise Aggressivität und Ungehorsam vorgeworfen. «Es kommt nur darauf an, wie der Welpe erzogen wurde», sagt Ursula Müller. Und siehe da, ihre vier Hunde sind das beste Beispiel dafür: Kuno, Isabella, Kira und Omira sind zutraulich und anhänglich. Weder lautes Gebell noch ein Annähern von hinten – so wie es vielen Menschen Angst macht – erwartet einem auf dem heimischen Hof. «Wir haben sehr darauf geachtet, sie zu sozialisieren. Man muss sich immer wieder die Frage stellen: Wie weit wollen wir das natürliche Verhalten öffnen oder es fördern», so Ursula Müller.

Müllers Welpen fanden bis anhin immer schnell ein neues Zuhause. Die Züchter platzieren ihre Lieblinge nicht nur als Hofhunde, sondern auch als Familienhunde in Wohnungen. «Die Nachfrage nach unseren Welpen ist riesig», sagt Ursula Müller. Viele werden nach Deutschland abgegeben, andere wiederum nach Griechenland. Egal wohin sie der Weg führt, der Abschied nach zehn bis zwölf gemeinsamen Wochen ist nie ein leichter – nicht für die Müllers und nicht für die Welpen.