Eine Vereinsfahne, ein patentierter Selbstkocher oder ein paar Damenstrümpfe aus Helanca: Christelle Wick, Kuratorin des Toggenburger Museums Lichtensteig, über die vergangene und die kommende Museumssaison.
Frau Wick, wir haben Ihnen etwas mitgebracht: Die letzte Ausgabe der Zeitungen «Alttoggenburger» und «Toggenburger Nachrichten», die erst Ende 2015 eingestellt wurden.
Christelle Wick: Vielen Dank. Wir sammeln tatsächlich nicht nur Altes, sondern auch Neues, das in zehn, 20, 50 Jahren ebenfalls Geschichte sein wird.
Die Exponate von «Hochstig. Brautfuder, Funkensingen und andere Hochzeitsbräuche» sind weggeräumt. Wie lautet Ihre Bilanz zu dieser Sonderausstellung, die ja während zwei Jahren gezeigt wurde?
Wick: Sie war eine schöne Ausstellung zum Thema Brauchtum, wie sie bei den Besucherinnen und Besuchern generell beliebt sind. Als regionales Museum, dessen Mitarbeiter grösstenteils ehrenamtlich arbeiten, ist es uns nicht möglich, jedes Jahr mit einer Sonderausstellung aufzuwarten. Während die Sammlung natürlich attraktiv zu sein hat, haben Sonderausstellungen den Effekt, dass sie für Publizität sorgen und Leute ins Museum ziehen, die schon lange nicht mehr hier waren.
Alle Museen kämpfen mit diesem Problem: Der Besucher kommt einmal als Jugendlicher, häufig im Rahmen des Schulunterrichts, und dann ein Leben lang nicht mehr.
Wick: Es ist mein Ziel, dass jeder Toggenburger unser Museum dreimal besucht: als Schüler, als Elternteil mit seinen Kindern sowie später mit den Grosskindern. Darum achten wir darauf, dass wir mit unseren Ausstellungsobjekten alle Generationen ansprechen. Im vergangenen Jahr zählten wir mit 645 Besuchern etwas weniger Eintritte als im Vorjahr, dafür wurden mehr Führungen gebucht.
Wie kommt das?
Wick: Das Toggenburger Museum Lichtensteig steht in Konkurrenz mit anderen Museen. Während städtische Institutionen Kindern freien Eintritt gewähren können, sind kleine Häuser wie unseres auf den Rückfluss der Eintrittsgelder angewiesen. Gerade im schulischen Bereich spüren wir die städtischen Mitbewerber. Dennoch: Ich wünsche mir, wir könnten einst bei den Eintritten die Tausendermarke knacken.
Was erwartet die Besucher in diesem Jahr?
Wick: In der zweiten Hälfte des Museumsjahres werden wir die Sonderausstellung «Hungerjahre 1816/1817» eröffnen. Nach einem Jahr ohne Sommer litten die Menschen vor 200 Jahren erst an den Folgen eines Ernteausfalls, dann an der Teuerung. Das Toggenburger Museum ist im Besitz einer gemalten Erinnerungstafel, die zeigt, wie die Menschen aus Hunger gemeinsam mit dem Vieh grasten. Auch können wir den hölzernen Schöpflöffel zeigen, mit dem in Libingen portionenweise Armensuppe ausgeschenkt wurde.
Und in der ersten Hälfte?
Wick: Auf einer Infosäule werden wir die Ergebnisse eines Forschungsprojekts zeigen. Zwischen 1872 und 1971 wurden «Arbeitsscheue» und «Liederliche» ohne gerichtliches Verfahren in die Arbeitserziehungsanstalt Bitzi in Mosnang eingewiesen. Das Staatsarchiv St. Gallen hat nun die Hintergründe aufgearbeitet.
Traditionell stellen Sie im Frühling im Museumsschaufenster die Neuerwerbungen und Schenkungen des letzten Jahres aus. Ist etwas Besonderes dabei?
Wick: Ins Auge sticht vor allem die Vereinsfahne des Toggenburgervereins Zürich, der sich letztes Jahr aufgelöst hat. Die Fahne steht für Zeiten, da es für die Menschen wichtig war, sich in der Fremde zu organisieren. Heute, wo man in einer guten Stunde vom Toggenburg nach Zürich pendelt, ist das nicht mehr nötig.
Als Kuratorin sind Sie Herrin über 4000 Objekte. Zählt man die Fotos dazu, sind es doppelt so viele. Was fehlt Ihnen noch in der Sammlung? Der Bürgi-Globus?
Wick: Solche Begehrlichkeiten gibt es natürlich. Auch Ulrich Bräkers originales Tagebuch würde sich übrigens bei uns gut machen. Nein, ich wünsche mir zum einen Filmdokumente, die beispielsweise in Super 8 das tägliche Leben im Toggenburg zeigen. Zum anderen möchte ich unsere Sammlung zur Industriegeschichte des 20. Jahrhunderts ergänzen. Erst gerade kürzlich konnte ich ein paar Helanca-Damenstrümpfe ersteigern. Wer hätte dabei schon daran gedacht, dass diese fürs Museum begehrenswert sind?
Und welches ist Ihr ganz persönliches, liebstes Objekt?
Wick: Zur Zeit der patentierte Selbstkocher der Wattwiler Hauswirtschaftslehrerin Susanna Müller. Die Autorin des Ratgebers «Das fleissige Hausmütterchen» hat einen isolierten Kocher patentieren lassen, in dem das Essen nach kurzem Vorkochen zu Ende garen kann, warm bleibt und zur Arbeit auf dem Feld mitgenommen werden kann. Besonders während der beiden Weltkriege war der Selbstkocher beliebt. Er sparte Zeit und Brennmaterial. Ich habe mir fürs Toggenburger Museum seit langem ein Original gewünscht.
Per Zufall erreichte uns Ende letzten Jahres eine Schenkung aus dem Wallis. Der Original-Selbstkocher aus der Zeit um 1900 hat in der Museums-Küche einen gebührenden Platz erhalten.