APPENZELL: Der Mann der leisen Töne

Mit dem Oberegger Ivo Bischofberger wählt der Ständerat einen politischen Quereinsteiger zu seinem Präsidenten. Dessen Markenzeichen sind Bescheidenheit und stilles Schaffen.

Richard Clavadetscher
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Ivo Bischofberger will sich als Ständeratspräsident für einen guten Kontakt mit den Nachbarn ennet der Schweizer Grenze einsetzen. (Bild: Ralph Ribi)

Ivo Bischofberger will sich als Ständeratspräsident für einen guten Kontakt mit den Nachbarn ennet der Schweizer Grenze einsetzen. (Bild: Ralph Ribi)

Da sind sich alle einig: Populismus ist in der Politik auf dem Vormarsch – nicht nur, aber auch in der Schweiz. Da mag es erstaunen, dass eines der höchsten politischen Ämter, die die Schweiz zu vergeben hat, anfangs nächster Woche ausgerechnet an einen geht, der die personifizierte Antithese dazu ist: Der Innerrhoder Ständerat Ivo Bischofberger (CVP) wird am Montag zum Präsidenten seines Rates gewählt.

Damit führt im nächsten Jahr ein Mann der leisen Töne das Stöckli – ein Mann, der auch in Bern konsequent die Innerrhoder Art des Politisierens lebt. Die Innerrhoder Art: Nicht auftrumpfen, kein «Prächter» (etwa: Aufschneider) sein, sondern auch als Amtsträger bescheiden auftreten, dem Gegenüber zuhören, nie auf den Mann spielen und Probleme mit maximaler Sachbezogenheit lösen. Dafür steht Ivo Bischofberger aus dem 1800-Seelen-Dorf Oberegg, steht «des Gemeindeschreibers Ivo», wie er dort heisst. Denn sowohl der ­Vater als auch der Grossvater waren Bezirksschreiber.

Nicht nur Innerrhoden hat den Politiker Bischofberger geformt, es waren der Sport und die langjährige Tätigkeit als Richter nicht minder.

Der bald 59-Jährige wuchs als Zweitältester zusammen mit drei Geschwistern auf. Es sei eine glückliche Jugend gewesen, sagt er. Wie die meisten andern im Dorf Oberegg habe er sich am regen Vereinsleben beteiligt, sei er so sozialisiert worden. Im Kollegi Appenzell, wo er nach der Primarschule ins damals noch vielköpfige Internat eintrat, habe er sich schnell wohlgefühlt: «Ich bin eben ein Typ, der sich gut mit den Umständen arrangieren kann.»

Gefallen hat Bischofberger am Kollegi Appenzell nicht zuletzt, dass er seine sportliche Begabung ausleben konnte – und dabei gefördert wurde. Als begabter Fussballer schaffte er es bis in die Schweizer U21-Auswahl. Das Berufsziel war für den jungen Ivo denn auch klar: Er wollte eidgenössisch diplomierter Turn- und Sportlehrer werden. Doch zwei Knieverletzungen setzten diesem Traum und auch der erhofften Fussballerkarriere ein Ende: Ivo Bischofberger konzentrierte sich fortan zwangsläufig auf die ursprünglich als Nebenfächer geplanten Fächer Geschichte und Germanistik.

Immer gerne unterrichtet

Nach Studium (in Zürich und Konstanz) und Doktorat («Hoheitsansprüche und Grenzstreitigkeiten zwischen Appenzell Ausser- und Innerrhoden nach der Landteilung von 1597») kehrte Bischofberger ans Gymnasium Appenzell zurück – als Lehrer und während zwölf Jahren als dessen Rektor. Er habe immer gerne unterrichtet, sagt er, der den Beruf inzwischen aus Zeitgründen aber aufgegeben hat und heute ausschliesslich Politiker ist.

Die dritte Prägung, jene als Mitglied der Judikative, begann Mitte der Achtzigerjahre auf Bezirksebene und setzte sich ab 1992 am Innerrhoder Kantonsgericht fort, das er von 1993 bis 2008 präsidierte. – Ein Historiker als Kantonsgerichtspräsident, wie geht denn das? In Innerrhoden habe das Laiengericht eben noch einen hohen Stellenwert, sagt er dazu – und mit einem Schmunzeln: «Unsere Urteile haben beim Bundesgericht in Lausanne übrigens nicht weniger Bestand als jene anderer Kantone mit lauter Juristen im Richtergremium.»

Als die Landsgemeinde den politischen Quereinsteiger Ivo Bischofberger, der sich selber als ruhigen Typ und guten Zuhörer ohne Drang ins Rampenlicht bezeichnet, Ende April 2007 gegen zwei Mitbewerber im vierten Wahlgang schliesslich in den Ständerat wählte, war man über die Kantonsgrenzen hinaus gespannt, wie «der Neue» das Amt wohl angehen werde. Denn sein Vorgänger war nicht irgendwer, sondern Carlo Schmid-Sutter, ein «animal politique» erster Güte, der nicht weniger als 27 Jahre lang in der kleinen Kammer sass. In dessen grosse Fussstapfen musste Bischofberger nun treten. «Carlo Schmid und ich sind ganz verschiedene Typen. Mir war deshalb bewusst, dass ich das Amt anders interpretieren musste als mein Vorgänger», sagt Bischofberger rückblickend.

Das scheint Bischofberger, dem allerersten Innerrhoder Ständerat, der nicht auch noch Mitglied der Standeskommission ist, gelungen zu sein: Nicht nur, dass die Landsgemeinde ihn inzwischen zweimal bestätigt hat, wobei niemand Anlass sah, ihn mit einer Gegenkandidatur herauszufordern. Auch in Bern scheint der Wertkonservative mit sozialer Ader angekommen zu sein: Seine vergleichsweise wenigen politischen Vorstösse finden Akzeptanz in beiden Räten, was ihn darin bestätigt, dass man im Parlament auch Gehör finde, wenn man weder Lautsprecher noch Selbstdarsteller sei.

Lieber im Ständerat als im Nationalrat

Insbesondere als Präsident der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie erarbeitete sich Bischofberger durch seine ruhige, überlegte und stets freundliche Art selbst bei der Behandlung grosser und schwieriger Geschäfte die Sympathie und den Respekt seiner Ratskolleginnen und -kollegen.

Er sei allerdings froh, dass er im Ständerat politisiere und nicht im Nationalrat, gesteht Bischofberger unverblümt. Der Nationalrat sei ihm zu ideologisch. Dort sitze man vorwiegend «mit den eigenen Leuten» zusammen, während im Ständerat zwanglose Runden immer partei- und fraktionsübergreifend seien. Es seien nicht zuletzt Diskussionen in solchen Runden, die immer wieder zu Lösungsansätzen führten, von denen die Ratsgeschäfte dann profitieren könnten.

«Klein, aber wertvoll» heisst das Motto, unter das Ivo Bischofberger sein Präsidialjahr stellt – und er, der überzeugte Föderalist, bezieht es auf den Ständerat ebenso wie auf seinen überschaubaren Herkunftskanton. Als Ständeratspräsident wolle er gerade jenen Eigenheiten des Rates Sorge tragen, die er selbst so sehr zu schätzen wisse: dass der Rat «Chambre de réflexion» sei. Und selbstverständlich habe er dabei nicht die Absicht, «den Chef rauszuhängen», das entspreche nicht seiner Art. Aber er werde sich darum bemühen, dass die Regeln – geschriebene wie ungeschriebene – eingehalten würden. «Denn Regeln sind dazu da, dass man sich daran hält – sonst braucht es sie ja nicht.»

Auch für die Aussenwahrnehmung will sich Ivo Bischofberger Zeit nehmen, will er nah am Volk sein – und auch die Nachbarschaft pflegen: «Als Vertreter einer Grenzregion bin ich mir bewusst, wie wichtig unsere nächsten Nachbarn für uns sind», so der Innerrhoder. Amerika und Asien in Ehren, aber ihm als Ostschweizer lägen Baden-Württemberg, Bayern und Vorarlberg näher – «auch und gerade in wirtschaftlicher Hinsicht».

Dass Ständeratspräsident Ivo Bischofberger also unermüdlich um die Welt jetten und einen neuen Flugmeilen-Rekord aufstellen wird in seinem Amtsjahr, scheint vor diesem Hintergrund dann doch eher unwahrscheinlich.