Suhr
Vom Industriedorf zur modernen Agglo-Kleinstadt: So verlief die grosse Verwandlung von Suhr

Seit die Tramlinie vor bald elf Jahren von der Hauptstrasse verbannt wurde, erlebt die Gemeinde einen grossen Umbruch. Einige Überbauungen wurden bereits realisiert, einige weitere stehen unmittelbar bevor – darunter beim Neumattweg Ost/Dobi, wo der Gestaltungsplan seit gestern aufliegt.

Daniel Vizentini
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Das alte Fabrikareal beim Neumattweg Ost in Suhr – früher Sprecher+Schuh – wird demnächst neu überbaut.

Das alte Fabrikareal beim Neumattweg Ost in Suhr – früher Sprecher+Schuh – wird demnächst neu überbaut.

Michael Küng (3.6.2020)

Kaum eine Ortschaft der Region hat in den letzten zehn Jahren so viele Veränderungen erlebt wie Suhr. Als in der Nacht vom 20. November 2010 zum letzten Mal ein Tram von der damaligen Haltestelle «Ausweiche» beim Bahnhof in Richtung Aarau abfuhr, begann für Suhr eine neue Ära.

Die Liste der Bauprojekte, die danach realisiert wurde, ist lang. Ein Auszug: Der Bahnhof wurde grundlegend erneuert; es entstanden die Grossüberbauungen Gleis 1, Atrium S, Suhrportal, Suhre-Park, an der Anna-Heer-Strasse oder aktuell im Henz-Areal; das Zentrum Bärenmatte wurde renoviert, auch die Siedlung Frohdörfli. Moderne Schulbauten wie das Vinci oder der Kindergarten Schützenweg kamen hinzu. Geduld erforderte die Sanierung der Tramstrasse während eineinhalb Jahren.

Vor 16 Jahren fuhren die Trams der WSB noch durch die Tramstrasse.
23 Bilder
2010 verschwand das Tram, der Name aber blieb.
Der Bahnhof Suhr vor dem Abriss.
Der Bahnhof nach dem Neubau.
Anstelle dieses Gebäudes entstand das heutige «Suhrportal».
Das «Suhrportal» jetzt.
Am Tag des Spatenstichs vom «Gleis 1» im Bahnhofareal Nord.
Links das «Gleis 1», rechts das «Atrium S».
Gerade auf der Nordseite des Bahnhofs wurde praktisch alles anders.
Anstelle der früheren Textildruckerei ...
... steht heute der Suhre-Park, unter anderem mit der neuen Post und der Migros.
Sieht die Mittlere Dorfstrasse ...
... künftig so aus?
Oder gar so?
Im Huggler-Areal ...
... ist die «Parkresidenz Mühle» geplant. Das Baugesuch wird aktuell von der Gemeinde bearbeitet.
Mitten im Dorf an der Anna-Heer-Strasse, am Fuss vom Suhrechopf, entstand eine neue Überbauung.
So sieht sie heute aus. Die Strasse soll demnächst zu einer Begegnungszone werden.
Die Gebäude vom alten Stahlhändler Henz ...
... wurden bereits abgerissen.
Die grossen Industriehallen wichen.
Heute ist es eine Baugrube.
Ende 2023 wird es dort so aussehen.

Vor 16 Jahren fuhren die Trams der WSB noch durch die Tramstrasse.

Toni Widmer (11.10.2005)

Hunderte Millionen Franken wurden von Privaten und der Gemeinde investiert. Ende Juli war die Neo-Kleinstadt Suhr das Zuhause von 11'012 Personen (einschliesslich Wochenaufenthalter). Und es geht noch weiter: Zwischen Bach- und Tramstrasse im Feld-Quartier entsteht bald eine neue Wohnsiedlung, die Bewilligung für die Grossüberbauung im Huggler-Areal sollte laut Gemeinderat noch dieses Jahr erteilt werden, die Mittlere Dorfstrasse dürfte in wenigen Jahren ein modernes Gesicht bekommen und auch beim Bahnhof Süd (früher Chocolat Frey) seien bereits Anfragen eingegangen für die Überbauung gewisser Teilbereiche.

Die Gemeinde bemüht sich dort um eine Mischnutzung von Gewerbe und Wohnen – für ein belebtes Quartier braucht es Publikumsmagnete. Und dazu will der Kanton mit dem Projekt Veras über 200 Millionen Franken in die Ost- und Südumfahrung von Suhr investieren.

Neumattweg Ost: Bereits bewilligter Plan wurde überarbeitet

Die alten, zentral gelegenen Industriehallen verschwinden zugunsten verdichteter Wohnbauten. Der Gemeinderat versucht dabei, so weit wie möglich das Beste herauszuholen. Aktuelles Beispiel: der neue Gestaltungsplan Neumattweg Ost, der seit gestern öffentlich aufliegt.

Für die Neuüberbauung anstelle der ehemaligen Fabrikbauten von Sprecher+Schuh gab es bereits 2005 einen Studienauftrag und 2009 einen bewilligten Gestaltungsplan. Die Ansprüche betreffend Ausserraumgestaltung, Architektur oder Energie haben sich seitdem aber grundlegend geändert.

Deshalb ging die Gemeinde auf die Grundeigentümer zu, schlug eine Überarbeitung des Plans vor – und stiess dabei auf offene Ohren. Gemeinderat Thomas Baumann, Ressortleiter Bau, Verkehr und Umwelt, spricht von einer Win-win-Situation: Die Eigentümer dürfen dichter bauen und die Gemeinde erhält im Gegenzug eine höhere Qualität.

Die dafür nötige Änderung der Nutzungsordnung wurde vor einem Jahr vom Volk angenommen. Laut Plan könnten 14 drei- bis viergeschossige Bauten entstehen. Auf der Nordseite, für Wohnnutzung reserviert, wird ein Grünstreifen von neu durchgehend neun Metern Breite die Verbindung zum bestehenden Quartier bilden. Auf der Südseite, reserviert fürs Gewerbe, wird dem Reiherweg entlang gegenüber den Einfamilienhäusern eine Baumallee gebildet.

Nebst viel Grün wurde neu auch autoarmes Wohnen auf dem Areal durchgesetzt: Die ursprünglich 204 Tiefgaragenplätze wurden auf 165 reduziert. Thomas Baumann macht dabei stets auf die Herausforderungen durch das zunehmend wärmere Klima aufmerksam. Wie beim Henz-Areal wünscht sich die Gemeinde auch einen Anschluss der Neubauten ans Fernwärmenetz.

Bei Architekten habe Suhr heute einen guten Ruf

Nicht erreichen konnte die Gemeinde bisher eine bessere Langsamverkehranbindung zwischen den Quartieren südlich der Bahnlinie und dem Zentrum, wie Thomas Baumann einräumt. Verhandlungen mit Landeigentümern seien gescheitert. Auch bei der Gränicherstrasse wolle die Gemeinde bald etwas gegen deren Trennwirkung unternehmen. Er sagt:

«Im Grossen und Ganzen konnten wir aber eine enorme Qualitätssteigerung erreichen im Vergleich zum ersten Gestaltungsplan. Wir froh, dass die Eigentümer offen dafür waren.»

Seitdem die Baukommission der Gemeinde «zu einer Fachkommission» mit Bauprofis und Architekten umgewandelt wurde, so Baumann, seien die Ansprüche klar höher. Suhr habe heute einen guten Ruf und ziehe deshalb Projekte von renommierten Architekturbüros an.

Die Mehrwertabgabe spült Millionenbeträge in die Gemeindekasse

Als Trumpf gilt auch die Mehrwertabgabe, die Bauherren der Gemeinde zahlen, wenn sie höher oder dichter bauen dürfen. Beim Henz-Areal ist ein nicht-kommunizierter Millionen-Betrag in die Gemeindekasse geflossen. Dieses Geld wird eingesetzt für Verbesserungen der Aussenräumen, etwa der geplanten Begegnungszone am Schützenweg, oder für soziokulturelle Projekte der Quartierentwicklung.